Liebe, Stolz und Leidenschaft
"Nein. Es war nett von dir, dich für ihn einzusetzen. Außerdem hätte er mir die halbe Stunde ohnehin abgeluchst."
"Er hat sie sich verdient." Jared lächelte, als sie über die Schulter schaute. "Und ich auch. Schließlich haben wir die ganzen Mathe-Hausaufgaben erledigt."
"Du möchtest eine halbe Stunde ... wie war das noch? ... Fernsehunterhaltung?"
"Nein." Er nahm die Brille ab und schob sie in die Hemdtasche. "Ich möchte mit dir einen Spaziergang durch den Wald unternehmen." Als Savannah besorgt zur Treppe sah, nahm er ihre Hand. "Wir werden nicht weit gehen. He, Bryan!" rief er nach oben.
"Deine Mom und ich machen einen Spaziergang."
"Cool", kam die nicht sonderlich interessierte Antwort.
Jared nahm ihre Denim-Jacke vom Haken neben der Küchentür. "Es ist kühl draußen."
"Aber nur in den Wald am Haus", beharrte Savannah, während sie die Jacke anzog.
Dort würde sie Bryan hören können, falls er nach ihr rufen sollte.
"Nur in den Wald am Haus", erwiderte Jared. "Fühlst du dich tagsüber nicht einsam, so ganz allein hier draußen?"
"Nein, ich bin gern allein." Sie ging mit ihm ins Freie, wo die Luft frisch und der Himmel so klar war, daß die Sterne heller als sonst glitzerten. "Ich mag die Stille."
Sie stiegen die Stufen hinab, die in den Hang gegraben waren, überquerten die schmale Zufahrt und erreichten den dunklen Waldrand.
"Hier habe ich zum erstenmal ein Mädchen geküßt."
Die gerade erst ergrünten Bäume schienen sie willkommen zu heißen. "So?"
"Ja. Meine Cousine Joanie."
"Deine Cousine?"
"Cousine dritten Grades", ergänzte Jared. "Mütterlicherseits. Sie hatte lange, goldblonde Locken, Augen so blau wie der Himmel im Juni... und mein Herz erobert.
Ich war elf."
Savannah fühlte sich wohl im Halbdunkel unter den Sternen. Sie lachte. "Ein Spätentwickler, was?"
"Sie war zwölf."
"Also magst du ältere Frauen."
"Jetzt, da du es erwähnst, vielleicht hat auch das mich gereizt, ja. An einem lauen Sommerabend lockte ich sie in den Wald, als die Sonne wie ein roter Ball hinter den Bergen verschwand und die Grillen zu zirpen begannen."
"Sehr romantisch."
"Es war traumhaft. Ich nahm all meinen jugendlichen Mut zusammen und küßte sie an der ersten Biegung des Flußbetts. Die Luft und das Licht waren berauschend."
"Wie süß."
"Das wäre es gewesen", sagte er, "wenn meine Brüder uns nicht nachgeschlichen wären, um uns zu beobachten. Sie heulten gespenstisch, und Cousine Joanie rannte in panischer Angst zur Farm zurück. Natürlich haben meine Brüder sich noch Wochen später über mich lustig gemacht, also mußte ich sie mir einen nach dem anderen vorknöpfen, um meine Ehre zu retten. Devin brach mir einen Finger, und ich verlor das Interesse an Cousine Joanie."
"Das finde ich auch süß. So wird man also ein Mann, was?"
"Ich habe seitdem ein paar Dinge dazugelernt, wenn es darum geht, hübsche Mädchen im Wald zu küssen."
Als er Savannah in die Arme zog und sie seinen Mund auf ihrem fühlte, mußte sie zugeben, daß er Recht hatte. Er hatte eine ganze Menge dazugelernt.
"Wo ist Cousine Joanie jetzt?"
"In einem schönen Einfamilienhaus am Stadtrand von Virginia, mit drei Kindern und einem Teilzeitjob als Immobilienmaklerin." Seufzend küßte er Savannahs Augenbraue. "Sie hat noch immer goldblonde Locken und sommerhimmelblaue Augen."
"Noch ein Geist in den MacKade-Wäldern." Sie warf einen Blick über die Schulter.
Zwischen den Bäumen war das Licht zu sehen, das sie im Blockhaus angelassen hatte. Ihrem Sohn konnte nichts passieren. "Erzähl mir von den anderen Geistern", bat sie.
"Die beiden Korporale sind die berühmtesten. Einer trug Blau, der andere Grau.
Während der Schlacht von Antietam wurden sie von ihren Kompanien getrennt."
Jared legte einen Arm um ihre Schultern, und sie schlenderten weiter. "Sie begegneten einander hier, in diesem Wald, zwei Jungs, kaum alt genug, um sich zu rasieren. Aus Angst oder Pflichtgefühl oder beidem kämpften sie miteinander. Einer wurde verwundet. Jeder von ihnen schleppte sich anschließend in eine andere Richtung. Einer bis auf die Farm."
"Eure Farm?"
"Ja. Ein Soldat der Union, mit einer tiefen Wunde, die das feindliche Bajonett ihm gerissen hatte. Mein Urgroßvater, der kein Freund der Nordstaaten war, fand ihn am Räucherschuppen. Es , wird berichtet, daß er in dem sterbenden Jungen plötzlich seinen eigenen Sohn sah, den er am Bull Run verloren hatte. Also trug er ihn ins Haus und tat für ihn, was er konnte, aber es
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