Liebe und andere Parasiten
mehr als hundertfünfzigtausend Pfund im Jahr. Die Familie, auf die sie in Wirklichkeit warteten, wusste Bec, war ein langer Mann Anfang vierzig und eine rotbackige Frau, ungefähr sieben Jahre jünger, mit leichtem Übergewicht und einem Baby im Arm.
Was dem Haus für Becs Gefühl fehlte, solange sie noch nicht angefangen hatten, es mit ihren eigenen Kindern zu bevölkern, waren Menschen. Sie diskutierten darüber, ob sie einem vielversprechenden Studenten ein Zimmer abtreten sollten, als Alex eine SMS von Dougie bekam, der fragte, ob er bei ihnen unterkommen könne, solange er in London nach einem Job suchte. Wie Alex ihr die Sache vortrug, schien er mit ihrer Ablehnung zu rechnen, aber Bec freute sich. »Wir bringen ihn in Matthews altem Zimmer unter«, sagte sie. »Wir können uns ein Gästebett besorgen.«
Mai und Juni waren warm, die Luft still und der Himmel klar, wenn es langsam Tag wurde und die Platanen und Kastanien auf den Straßen und Plätzen und in den Parks ihre Blätter entfalteten. Den Menschen, die am heißen Nachmittag im Gras schliefen, drang das Dröhnen der Flugzeuge und des Verkehrs an die Ohren wie die Meeresbrandung, die fern vom Ufer an ein Riff schlug. Cafés und Pubs expedierten Tische und Gäste nach draußen, und im ganzen fraktalen Netz der Reihenhäuser roch es nach heißem Asphalt, Feueranzündern und bratendem Fleisch. Jungsgruppen walzten hemdlos mit Getränkedosen und Fußbällen in den Park und beobachteten verstohlen, wie Mädchen ihren BH aufhakten, um sich den Rücken zu bräunen. Das Aufstöhnen von Cricket- und Tenniszuschauern schwappte aus offenen Autofenstern, und die HiFi-Anlagen asiatischer Jungs in winzigen aufgerüsteten Autos brachten die Stadt zum Beben, als zupften Daumen auf schlaff gespannten Saiten. Mit der Sonnenwendzeit kamen in den Köpfen der alten Leute in London Erinnerungen an hundert Jahre Sommerlieder auf sämtlichen Kontinenten nach oben. Fahnen hingen schlaff am Mast, und die Stadtkulisse mit Türmen, Zinnen, Kirchen und Riesenrad hüllte sich in mythischen Dunst. Schöne fremde Gesichter tauchten auf, die man im Freien nur zu sehen bekam, wenn die Sonne schien.
Eines Sonntagnachmittags mieteten Alex und Bec ein Fahrrad für Dougie, und zu dritt radelten sie am Kanal entlang nach London Fields, um sich mit zwei Schulfreundinnen von Bec zu treffen. Sie saßen im Kreis um ihr Picknick herum, aßen und tranken Wein, und die im Gras liegenden Räder bildeten einen äußeren Kreis. Scharen anderer Ausflügler und Fahrräder waren auf der weiten Wiese verteilt. Manche hatten Fleisch in Alugrillschalen mitgebracht, und mit den Rauchsäulen, die hier und da aufstiegen, sah der Park wie der Hof einer Karawanserei aus. Sie redeten, bis die Schatten länger wurden. Alle um sie herum unterhielten sich, als wäre es das bestimmende Kennzeichen ihrer Existenz, dass sie sich gegenseitig ihr Leben, ihre Befindlichkeiten, ihre Erinnerungen und Träume erzählten. Wo gingen diese ganzen Gespräche hin, wenn sie starben, fragte sich Bec? Lernten und entwickelten sich die Leute, wenn sie an diesen Sommertagen stundenlang dasaßen und schwatzten? Zogen sie irgendwelche Schlüsse? Bei einigen der Gruppen im Park – vielleicht ihrer eigenen – war die Unterhaltung nur eine Art Summen, während die wirkliche Musik in den Augen, dem Licht und den Körpern spielte. Ihre Freundinnen streckten sich in ihren Sommerkleidern aus und warfen die Haare zurück, und Alex antwortete ihnen mit Lächeln und Stirnrunzeln, mit Vorbeugen und Gesten der Hand, ohne je den Strom des Sichhabens zu unterbrechen, der zwischen ihr und ihm floss. Aber Dougie flirtete nicht mit Becs alleinstehenden Freundinnen, wie sie erwartet hatte, und versuchte auch nicht, sie mit seiner extremen Selbstironie zu beeindrucken. Er legte eine unerwartete Begabung zur Schüchternheit unter Fremden an den Tag, und Bec fragte sich, wie es kam, dass er sich ihr gegenüber so selbstbewusst verhalten hatte.
Sie stiegen auf ihre Räder und fuhren zum Broadway Market, wo sie sich auf die Bordsteinkante setzten und Bier tranken, dann gingen sie in einen Club in Shoreditch. Da es früh war, stand vor dem Club noch keine Warteschlange, und sie setzten sich an den Rand der leeren Tanzfläche. Nach einer halben Stunde fing die Musik an, die Lichter begannen sich zu drehen und Farbflecken auf den Boden zu malen, und der Saal füllte sich. Alex und Dougie standen ein wenig abseits. Bec sah, dass Dougie Alex um etwas bat und
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