Liebe und andere Parasiten
Stimme wie Karamell. Das Publikum im Studio, schien es Ritchie, war hervorragend ausgewählt worden nach Intelligenz, Enthusiasmus und gutem Aussehen, und die neuen Richtlinien, die er für die Garderobe der Leute erlassen hatte, verliehen der jubelnden, hüpfenden Masse aus Zähnen, Haaren und schlanken Körpern eine Ausstrahlung von hysterischer Adrettheit, die der BBC bestimmt gefiel. Fünf Millionen sahen zu. Eine Million gab ihr Votum ab. Auf der Party hinterher wich Ritchie kaum von Karins Seite. Er stand im innersten der konzentrischen Ringe der Macht und des Ruhms, wo die Leute an sie herantraten, als wären sie König und Königin, und Ruby und Dan spielten um sie herum mit Lazz und Riggsy wie Prinzen und Prinzessinnen von königlichem Geblüt.
Ein paar Tage später hatte Ritchie Besuch von Midge. Sie kickten mit Dan einen Fußball herum und gingen nach oben. Ritchie wollte Midge einen seltenen Willie McTell vorspielen, aber Midge konnte nicht still sitzen. Er langte ständig in seinen T-Shirt-Ärmel und kratzte sich an der Schulter. Er zog die Nase kraus und runzelte die Stirn, als hätte er eine Brille auf, die nicht passte.
»Schon mal was von der Moral Foundation gehört?«, fragte er Ritchie.
»Elektropop aus den Achtzigern«, sagte Ritchie. Er saß neben dem Plattenspieler am Boden, umgeben von Covern und Vinylplatten. »Hier ist eine, die er als Red Hot Willie Glaze aufgenommen hat.«
»Die Moral Foundation«, sagte Midge. »Das ist eine Webseite. Die Ficker spielen die Online-Geheimpolizei für Promis. Bist du sicher, dass du noch nie davon gehört hast? Jeden Sonntag um sechs Uhr morgens melden sie einen Skandal. Sie machen das jetzt seit Wochen. Jeden Sonntagmorgen ist irgendwo im Land eine arme Sau vor Tagesanbruch auf den Beinen, drückt auf seinem Browser auf ›Aktualisieren‹ und wartet darauf, Zeuge zu werden, wie sein Leben zerstört wird.«
Ritchie schob die Unterlippe vor, neigte die Platte und beobachtete, wie das Licht sich in den Rillen mit Blind Willies Stimme brach. Er wollte Midge nicht zuhören. Er wollte sich dem kratzigen Geheul eines längst verstorbenen trunksüchtigen Gitarristen zuwenden, der seine Sorgen und seine Sünden in ein Mikrofon gesungen und dann die Augen geschlossen hatte. Er wollte Unglücksgeschichten mit klarem Ausgang, vom Tod beendet. Aber Midge hörte nicht auf zu reden.
»Der Ex deiner Schwester steht dahinter. Val Oatman. Er ist die graue Eminenz.«
»Ich dachte, er ist in der Klapsmühle«, sagte Ritchie.
»Da kommt man heute nicht mehr hin«, sagte Midge. »Die kommt zu dir nach Hause. Du wirst nicht mehr in die Klapsmühle eingeliefert. Du nimmst sie ein, dreimal am Tag vor dem Essen. Ich weiß nicht, ob er tatsächlich je den Verstand verloren hat. Hast du ernsthaft noch nie davon gehört? Alle Welt redet darüber. Auf die Art ist der ManU-Spieler letzte Woche aufgeflogen.«
Die Vorgehensweise der Stiftung, erklärte ihm Midge, sah so aus, dass sie eine Zielperson kontaktierte und ihr mitteilte, ein bestimmter Tag sei für eine Enthüllung vorgesehen – »Sie oder eine Ihnen nahestehende Person betreffend«.
»So drücken die sich aus«, sagte er. »Aber sie sagen dir nicht, worin die Enthüllung besteht oder wen es trifft, ob du es bist oder dein Partner oder dein Kind, Gott bewahre. Und sie sagen: ›Möchten Sie uns Informationen geben?‹ Sie haben ein komplettes System, die Ficker. Mit einem meiner Klienten haben sie die Nummer abgezogen.«
»Lazz?«
»Das werde ich dir nicht verraten. Je weniger du weißt, umso besser. Aber ja, einer meiner Klienten hat den Anruf bekommen. Er oder sie hat eine Leiche im Keller. Wer nicht? Sie waren verdammt clever. Sie sagten nicht genau, was sie wussten, aber sie machten genug Andeutungen, dass er oder sie Schiss hatte, es darauf ankommen zu lassen. Stört’s dich, wenn ich hier drin rauche?«
»Ja«, sagte Ritchie. »Trink noch ein Bier. Was hat er gemacht?«
»Oder sie.«
»Oder sie.«
»Was er gemacht hat? Er hat jemand anders verpfiffen, was denkst du denn?«
»Klingt nach Erpressung.«
»Es ist anscheinend eine Grauzone. Es kommt ganz darauf an, wie konkret sie werden.«
»Er hat doch nicht etwa einen anderen von deinen Klienten verpfiffen?«
»Wofür hältst du mich, verdammt? Nein, natürlich nicht.«
Zwei Wochen später war Ritchie früh am Morgen allein im Büro, als er auf dem Handy von einer nicht angezeigten Nummer angerufen wurde.
»Mr Shepherd?« Die Frau hatte einen
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