Liebe und andere Parasiten
ihn sich auf.
51
Bec war sich in diesem Frühling gar nicht bewusst, glücklich zu sein. Sie merkte es nur dann, wenn eine ihrer Freundinnen ihr sagte, sie sehe glücklich aus, oder wenn ein Mann auf der Straße sie neugierig beäugte und ihr klar wurde, dass sie mit einem Lächeln im Gesicht herumlief.
Ihr Bericht über den Test des Malaria-Impfstoffes wurde veröffentlicht, und obwohl sie ihn immer noch für einen Fehlschlag hielt, schienen alle anderen der Meinung zu sein, es sei eine lohnende Sache, Kleinkinder halb zu immunisieren. Mehrfachimpfstoffe, das war der Hit; sie würden sich ergänzen. Melinda Gates rief an, um ihr zu gratulieren. Vertreter von Impfstoffherstellern und Wichtigtuer von der WHO drängelten sich in ihren Terminkalender.
Das Centre organisierte Dutzende von Interviews, und einige Tage lang meldeten sich alte Freunde, zu denen der Kontakt eingeschlafen war, und schrieben in Mails, sie hätten sie auf einer Webseite oder in einer Zeitschrift gesehen oder sie im Radio gehört. Alex, dachte Bec, musste nie in den Supermarkt gehen und auf ein Regal voll Zeitungen mit seinem Gesicht auf jeder Titelseite blicken wie sie. Bec verstand nicht, warum sie nicht ein Foto eines traurigen afrikanischen Kindes nehmen konnten, wie sie es sonst taten. In jedem Interview erklärte Bec den Journalisten, sie sollten mit den Tansaniern reden. Sie schrieben sich die Telefonnummern und E-Mail-Adressen von Issa, Mosi und Mbita auf, aber falls sie sie kontaktierten, wurde nichts, was sie sagten, je veröffentlicht.
Alex erzählte Bec, die Vertragsklausel in Harrys Testament sei dermaßen raffiniert formuliert, dass das Haus leer stehen würde, falls sie nicht darin wohnten. Ihnen schien nichts übrig zu bleiben, als einzuziehen.
Matthew räumte alles aus bis auf den Wein, den Harry den neuen Bewohnern vermacht hatte. Eine Flasche steckte in einer an Bec persönlich adressierten Kiste. Chateau Lynch Bages, Grand Cru Classé, Pauillac , Jahrgang 1972. Auf einer beiliegenden Karte stand:
Meine liebe Bec, ich wollte gern, dass du den probierst. Die Lese war im selben Jahr, in dem mein liebster Sohn geboren wurde. Ich wünschte, ich könnte ihn mit dir zusammen trinken. Wenn Bande geknüpft werden, dann für mich bitte lieber mit Wein als mit Blut. Dein entschwundener Herzensonkel in spe,
Harry
Sie las die Karte mehrere Male, faltete sie zusammen und verstaute sie an einem sicheren Ort, ohne sie Alex zu zeigen. Sie fragte ihn, in welchem Jahr Matthew geboren worden war.
»1971. Warum?«
»Dann ist er also ein Jahr älter als du? Ich wollte es nur mal wissen.«
Alex’ und Becs Besitztümer zerstreuten sich rasch im Haus. Ihre Bücher nahmen kaum ein Viertel der Regale ein, und sie hatten keine Vorhänge. Die Kahlheit der Zimmer gefiel ihnen, ihre spärliche Habe verteilte sich in einem Haus weißer Wände und nackter Dielen, deren Versiegelung sich abrieb.
Sie gewöhnten sich daran, dass Tageslicht, Dunkelheit und Lampenlicht in ihrem Wechsel die Räume in einer Weise ausfüllten, wie es ihre wenigen Möbel nicht vermochten. Sie stellten das Bett, das sie aus Becs Wohnung mitgebracht hatten, in Harrys großes Wohnzimmer im Erdgeschoss und verbrachten einen Großteil ihrer Wochenenden darin. Sie kamen sich vor, als hätten sie das Haus einer reichen Familie besetzt, die jeden Moment zurückkommen konnte. Samstagmorgens im Bett stellten sie sich vor, wer gleich hereingeplatzt kommen würde. Ein sonnengebräunter, weißhaariger Mann, der nach Moschus roch, sagte Bec. Im schwarzen Anzug, mit schwarzer Krawatte und Sonnenbrille, sagte Alex. Autohandschuhe an den Händen, einen Jagdstuhl unterm Arm. Er klappt den Stuhl auf, setzt sich darauf, streift in aller Ruhe die Handschuhe ab.
»Wobei er uns die ganze Zeit beobachtet«, sagte Bec.
»Natürlich. Dann holt er ein goldenes Zigarettenetui aus der Tasche, entnimmt eine Zigarette, zündet sie sich mit einem goldenen Feuerzeug an, zieht tief und stützt die Hände auf die Knie.«
»Hätte er die Beine übereinandergeschlagen?«
»Ich glaube schon. Ein dicker Goldring an der Zigarettenhand. Und dann würde er sagen, mit italienischem Akzent …«
»Ficken Sie, per favore!«
»Nein, nein«, sagte Alex. »Er würde sagen: ›Seien Sie bitte so gut und warten Sie auf meine Frau, sie schaut so gern fremden Eindringlingen beim Ficken zu. Sie parkt nur gerade noch den Wagen.‹«
Aber sie waren keine Eindringlinge, und sie waren nicht arm. Zusammen verdienten sie
Weitere Kostenlose Bücher