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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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vor, gerührt sein, dass er sie freiwillig aufgab. Das würde bald geschehen, und niemand würde etwas gemerkt haben. Wie auch? Sie passten beide gut auf, und London war ein wilder Wald aus Backsteinmauern und Ziegeldächern, wo Stadtpläne einem nur zeigten, wie wenig man wusste.
    2
    Ritchie erwachte in einem weichen Sessel in einem großen, hellen Raum. Eine alte Schallplatte drehte sich knisternd, und er hörte die Stimmen von Ruby, Dan und Karin im Garten, drei Stockwerke tiefer. Irgendwo weit weg klapperte etwas gegen Holz.
    Wie ein Latz lag die durchs Südfenster fallende pralle Sonne auf seinem ausgefransten gelben T-Shirt und verbreitete wohlige Wärme auf seiner Brust. Durch den Mittagsschlaf fühlte er sich erfrischt und zufrieden. Frau und Kinder waren ihm nahe und zugleich fern genug: Er hörte, dass sie glücklich waren, und sie störten ihn nicht.
    Ihm gegenüber dort im Dachgeschoss stand eine fahrbare Leiter vor einer Regalwand, die vom Boden bis zu den Sparren mit Schallplatten gefüllt war. Ritchies Arbeitszimmer war so groß, dass man darin Rad fahren konnte, aber er hatte kein Fahrrad hier oben; er hatte ein Dreirad für Erwachsene. Die Reifen surrten auf den gewachsten Eichendielen, wenn er in die Pedale trat und lossauste: um den Treppenschacht in der Mitte des Raumes herum, vorbei an den Glasschränken mit seiner Sammlung britischer Kriegscomics, vorbei am Schreibtisch und der Kühlvitrine, in der sein Bier und seine Puddings standen, vorbei an dem Waschbecken, das einst ein viktorianischer Taufstein gewesen war, und dem WC in einer alten roten Telefonzelle mit geschwärzten Scheiben, zum Gitarrenkoffer. Im Gitarrenkoffer wohnte eine seiner zwei stahlbespannten Akustikgitarren, die Karin ihm zu seinem Vierzigsten aus Fichte und Walnuss hatte bauen lassen, mit ihren Namen (seinem und ihrem) in Perlmutt eingelegt; und in der Gitarre verbarg sich ein Geheimnis – das Handy, das er für seine Gespräche mit Nicole benutzte.
    Er stand auf und sah aus dem Fenster. Unten im Garten ernteten Karin und die Kinder Obst. Ihre glänzenden Haare und perspektivisch verkürzten Körper tauchten aus dem Schatten auf und wieder in ihn ein. Er hörte sie reden, doch durch die Scheibe drangen nur gedämpfte freundliche Unverständlichkeiten. Er ging zum Schreibtisch, öffnete die Kühlvitrine und nahm sich von den Vorräten einen Becher Schokoladenpudding. Seine bevorzugte Marke hieß ChocPot, denn da war das Holzlöffelchen gleich mit dabei, sodass er nicht erst eines suchen musste. Er machte den Deckel auf, stellte den Becher hin und griff sich seinen BlackBerry. Dann löffelte er mit der Rechten Schokoglibber und scrollte sich mit dem linken Daumen durch seine E-Mails. Ein Happen Pudding fiel vom Löffel und landete auf dem Balkon seines Bauchs. Er legte den BlackBerry weg, beseitigte das Malheur mit dem Zeigefinger, führte den zitternden Klumpen an den Mund, leckte den Finger ab und ging zum Taufstein. Ohne es auszuziehen, hielt er das T-Shirt mit beiden Händen unter den Wasserhahn und rubbelte, bis der braune Fleck fast verschwunden war. Er wrang die nasse Stelle aus.
    Die Lust, Nicole anzurufen, sie allein zu Hause zu erwischen, kribbelte in seiner Magengrube. Er schritt zum Gitarrenkoffer, schnippte die Verschlüsse auf und öffnete ihn. Die Gitarre war nicht da.
    Ritchies Handfläche und Finger legten sich auf das blaue Plüschfutter des Koffers. Der Mund stand ihm offen.
    Er drehte sich um und lief zur Treppe, die Zehen gekrümmt, damit ihm die alten Flipflops nicht von den Füßen flogen. Er musste aufpassen, dass er sich auf den sechs Treppenfluchten bis hinunter zum Obstgarten nicht den Hals brach: drei Stockwerke, fünf Richtungswechsel. Seine Hände grapschten Halt suchend nach den fußballgroßen Eichenkugeln, lackiert und auf Hochglanz poliert, die das Geländer auf jedem Treppenabsatz krönten. Er geriet ins Stolpern, rutschte von der Stufe, knallte an die Wand, landete auf dem Hintern, rappelte sich auf und lief keuchend weiter. Ich komme außer Atem, wenn ich mit Nicole schlafe, dachte er. Ob sie das stört? Während seine Füße trappelten und sein Herz hämmerte, fiel ihm das Geräusch wieder ein, das er beim Aufwachen gehört hatte, das Klappern gegen dünnes Holz. Wenn neugierige Hände in die Gitarre hineingriffen, wieso war da ein Handy drin? Er hatte sich keine erklärende Lüge ausgedacht.
    Am Fuß der Treppe angelangt, hastete er durch den Flur zur Küche und dankte Gott, dass die

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