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Liebe und andere Parasiten

Liebe und andere Parasiten

Titel: Liebe und andere Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Meek
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und Duftlotion aus einer Flasche, auf der »après-rasage « stand, zupfte sich die langen Borsten ab, die ihm aus Nase, Ohren und an den Brauen wuchsen, putzte sich die Zähne mit Bürste und Zahnseide, gurgelte mit Listerine und brauchte eine halbe Stunde, um sich ein Hemd auszusuchen.
    Karin hatte ihn schon zweimal beim Fremdgehen ertappt, einmal kurz vor der Geburt der Kinder und einmal kurz danach. »Wenn du das noch mal machst«, hatte sie ihm erklärt, »lasse ich mich von dir scheiden, sorge dafür, dass dir das Sorgerecht entzogen wird, und quetsche dich bis auf den letzten Penny aus.«
    Dass ihm alles genommen würde, was er hatte, war beängstigend, aber er konnte es sich nur schwer vorstellen. Der Moment der Enthüllung erschien ihm schlimmer als die Folgen. Er hatte festgestellt, dass er sich so lange nicht schämte, Karin zu betrügen, wie sie es nicht merkte. Das war die große Entdeckung seines Erwachsenenlebens, größer als die Entdeckung, dass er ein guter Geschäftsmann war oder dass er mehr Geld verdiente als andere Zeitgenossen, die talentiertere Musiker waren. Sein Gewissen regte sich nur, wenn jemand ihn darauf aufmerksam machte, dass er eins hatte und dass es gut daran täte, sich zu regen. Solange das nicht geschah, war er ein Mann, der sich nach Kräften bemühte, gut zu zwei Frauen zu sein, die nichts gemeinsam hatten und sich im Leben nie begegnen mussten. Er liebte seine Frau; er würde sie nie verlassen. Karins Glück war ihm wichtiger als alles andere – außer Ruby und Dan. Deshalb wollte er alles tun, was er konnte, um sie vor dem Wissen zu bewahren, dass er mit einer anderen schlief.
    Ritchie nahm die Sachen und ging zum Anziehen in das Ankleidezimmer von Karin. Es hatte bessere Spiegel, und es war näher an der Haupttreppe. Falls Karin kam, um einen Streit anzuzetteln, und die Tür offen stand, musste sie die Stimme dämpfen, damit die Kinder es nicht hörten. Der Nachteil war, dass er sich das Zimmer mit dem großen Foto der jungen Karin teilen musste, das eine ganze Wand einnahm. Es war aufgenommen worden, als sie neunzehn und er einundzwanzig war und der Hit ihrer Band in London, New York und Tokio die Charts stürmte. In dem Jahr hatte Ritchie eines Abends in North Shields durch die Scheibe seiner bei Rot haltenden Stretchlimo eine Kette von Mädchen gesehen, die Arm in Arm mitten auf der nassen Straße marschierten und seinen und Karins Song sangen, die Jacken offen und die Gesichter und die tief ausgeschnittenen Kleider vom Regen gepeitscht, bis ihnen die Wangen und Kehlen glänzten.
    Das Foto zeigte Karin nachts auf einer Parkbank. Sie trug Stiefeletten, einen weißen Chiffonschal, einen weißen BH und einen weißen Slip. Sie lümmelte breitbeinig auf der Bank, die Ellbogen auf der Rückenlehne und die Unterarme herabhängend, in der einen Hand eine Zigarette. Neben ihr stand eine halb leere Literflasche Wodka. Im Blitzlicht war ihre Haut kreideweiß, obwohl die Auflösung so gut war, dass man die Gänsehaut und die feinen Härchen auf Armen und Beinen erkennen konnte. Es war die Zeit, in der sie ihren Körper mit Giften vollgepumpt hatte, nicht, wie die Zeitungen behaupteten, weil sie sich hasste, sondern weil sie sich liebte, und die Resistenz ihres Körpers gegen all diese Gifte war der exakte Gradmesser dafür, wie unzerstörbar jung und schön sie sich fühlte.
    Die Illusion der Spontaneität wurde durch Karins festgesprayte goldene Lockenpracht und ihren kunstvollen schwarzen Lidstrich verdorben, aber Ritchie wusste, dass es keine Illusion war. Er war zu dem Fototermin im Park mitgekommen. Karin hatte ihr Kleid ausgezogen und es auf dem bereiften Laub am Rand der Parkstraße liegen lassen, weil sie Lust dazu hatte. Die Stylistin hatte die Hand gehoben, um sie davon abzuhalten, und dann gemerkt, dass es zwecklos war. Ritchie wusste, dass Karin die fehlende Wodkahälfte intus hatte. Mittendrin hatte sie die Flasche an den Hals gesetzt, sich mit dem Handrücken über den Mund gewischt, und als die Visagistin ihr Gesicht retten wollte, hatte sie den Kopf auf die Brust hängen lassen, gehustet, gelacht, gesagt: »Ich zieh das Ding aus«, war aufgestanden und hatte den Reißverschluss aufgezogen. In dem Moment war Ritchie aufgegangen, dass seine zukünftige Frau wilder war als er.
    Heute schien es ihm, dass seine Frau ihn getäuscht hatte. Sie hatte ihn in dem Glauben gewiegt, er könne noch so verrucht sein, sie sei auf jeden Fall verruchter. In seinen Zukunftsvisionen war

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