Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
Vom Netzwerk:
unterbrochen:
    »Ach Gott, nichts gegen die Gemeinde, aber das ist manchmal ganz schön antiquiert, was euch da so eingetrichtert wird! Dieses ganze Sündengeschwafel ist doch von vorgestern! Das ist überhaupt nicht an die heutige Gesellschaft angeglichen, das würden Paulus und die ganzen anderen Propheten doch heute ganz anders sagen!« Hannah ist vor Aufregung ganz rot geworden. »Lass dich doch bitte nicht von diesem Ewald und seinem Fanatismus-Tick einschüchtern! Du bist du, und wenn du eine Frau liebst, ist das vollkommen in Ordnung und gut so!« Sie holt tief Luft und sieht Olga an. »Lesbisch sein ist keine Sünde!«, schiebt sie dann noch nach, als sie den immer noch skeptischen Blick ihrer Freundin bemerkt.
    »Hm ja, das sagst du jetzt so leicht ...«, wendet Olga halbherzig ein. »Aber meine Eltern, was werden die wohl sagen? Und die ganzen anderen Leute ...« Sie sieht Hannah hilfesuchend an.
    »Puh«, entfährt es dieser und sie verstummt für einen Augenblick. »Weißt du, das ist wahrscheinlich nicht alles so einfach. Aber am Wichtigsten ist doch erst einmal, dass du weißt, was du willst, dass du das machst, mit dem du dich am wohlsten fühlst. Der Rest, inklusive deiner Eltern, muss damit zurechtkommen. Es ist dein Leben, Olga, nicht das deiner Eltern!«
    »Ja ...«, erwidert Olga, der skeptische Blick ist dennoch nicht ganz aus ihrem Gesicht gewichen.
    »Denk mal drüber nach«, lächelt Hannah und umarmt sie, bevor sie sich auf den Heimweg macht. Nachdenklich macht sich auch Olga auf den Weg.
    Seit einer Stunde schon versucht Olga vergeblich, die Matheaufgabe zu lösen, die vor ihr auf dem Schreibtisch liegt. Sie hat die Tür zu ihrem Zimmer geschlossen, nur gedämpft dringen die Geräusche aus der Küche, wo ihre Mutter die Spülmaschine einräumt, und aus dem Garten, wo Leo lauthals mit einem Schulfreund herumtollt, zu ihr hinein. Trotzdem kann sie sich einfach nicht konzentrieren, immer wieder wandern ihre Gedanken zu Anna. Schließlich schlägt sie das Mathebuch mit einem Knall zu, legt ihr Heft dazu und zieht das Handy aus der Hosentasche.
    »In einer halben Stunde oben am Felsen?«
    Kaum eine Minute später ein leichtes Vibrieren.
    »Ich werde da sein! Bis gleich, Anna.«

Brigitte Münch
    SCHULE DER APHRODITE
    I mmer wenn ich ein- oder zweimal im Jahr meine Heimatinsel besuche und zum Grab meiner Eltern gehe, dann suche ich, am entgegengesetzten Ende des Friedhofs, auch das Grab von Melina auf und verweile dort für einige Minuten, in dankbare Erinnerung versunken. Ein Neffe von ihr unterhält das Grab noch und kümmert sich darum, Kinder hatte sie keine, sie war nicht einmal verheiratet gewesen. Seit zwanzig Jahren liegt sie nun hier. Und ich frage mich so insgeheim – ach, viele unbeantwortete Fragen hinterließ Melina! Aber auch so viele Erinnerungen, so lebendig, obwohl sie über ein halbes Jahrhundert zurückreichen. In ein, zwei Jahren werde ich siebzig, und doch sind die Bilder und Worte von Melina über all die Jahrzehnte in meinem Innern so frisch geblieben, als sei es gestern gewesen.
    Ich war vierzehn und pflegte meine ersten beiden Pickel am Kinn – die Bartstoppeln, die ich stattdessen ersehnte, ließen dagegen zu meinem Kummer noch auf sich warten. An einem Morgen im Mai saß ich in der Schule, auf meinem Platz in der vorletzten Reihe, und ließ einen schleppenden Vortrag unseres Geschichtslehrers ungehört an meinem Ohr vorbeirauschen. Über der schweigenden Klasse hing eine unsichtbare, schwere Wolke der Langeweile und des allgemeinen unterdrückten Gähnens. Ich hatte den Kopf in die linke Hand gestützt und zeichnete gedankenverloren mit dem Bleistift Gesichter in mein Heft, jedes ein bisschen anders, und doch hatten sie alle etwas gemeinsam: Sie waren ausnahmslos von dichten, hüpfenden Locken umrahmt. Wieso ich auf solche Lockenköpfe kam, wer wollte das wissen – wahrscheinlich war es mir gar nicht recht bewusst.
    Meinem Banknachbarn Kosta aber fiel es auf, er lehnte sich etwas zu mir herüber und schielte auf mein Gekritzel. Dann nahm er die Hand vor den Mund, tat so, als müsste er hüsteln und raunte mir dann zu:
    »Man sieht, was dir im Kopf herumschwirrt. Wenn du erfahren willst, wie das so richtig geht mit einer Frau, dann musst du zu Melina gehen, hinter der alten Marktgasse!«
    »Was?«, raunte ich zurück. »Du meinst die verrückte Melina, die gegenüber vom Schuster wohnt?«
    Kosta nickte.
    »Ja. Aber sie ist nicht wirklich verrückt. Sie ist nur anders,

Weitere Kostenlose Bücher