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Liebe und andere Schmerzen

Liebe und andere Schmerzen

Titel: Liebe und andere Schmerzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hrg. Jannis Plastargias
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wirklich verrückt sei. Und so kam mir auch zum ersten Mal der Gedanke, dass man dem Ruf eines Menschen solange keinen Glauben schenken sollte, bis man ihn selbst kennengelernt hat und sich sein eigenes Bild machen kann.
    Melina verbreitete eine warmherzige Atmosphäre, die ihre kleine Küche zu einem behaglichen Nest machte und meine innere Verkrampftheit nach und nach löste. Sie sah mich aufmerksam an, erkundigte sich nach meinen Eltern, nach meinen beiden größeren Geschwistern, fragte, wie es in der Schule geht und was ich mal werden will – alles mit dem ernsten Ausdruck aufrichtigen Interesses. Sie fragte jedoch nicht nach dem Grund meines Besuchs. Sie verhielt sich so natürlich und machte mir alles so leicht, dass ich mich kaum noch erinnere, wie wir schließlich in ihrem Schlafzimmer gelandet waren ... Wohl aber erinnere ich mich an die samtene Zärtlichkeit der ersten Liebesstunde mit ihr! Was man einer solch stattlichen und imposanten Frau, die den Leuten aus ihrem Küchenfenster heraus ohne jede Hemmung schroffe Bemerkungen nachrief, niemals zugetraut hätte! Wie ich dann später feststellte, konnte sie auch ganz anders sein, was eher Kostas Schilderungen nahe kam ...
    Von diesem denkwürdigen Tag an wurden meine heimlichen Besuche bei Melina zur ständigen Einrichtung. Sehr bald schon betätigte ich nicht mehr die bronzene Löwentatze an ihrer Haustür, sondern schlich mich durch den in einem handtuchgroßen Gärtchen versteckt liegenden Hintereingang ins Haus. Fand ich diese Tür angelehnt vor, dann wusste ich, dass ich willkommen war, war sie jedoch geschlossen, dann blieb mir ein Besuch verwehrt. Ob sie dann gerade jemand anderen da hatte oder nicht zu Hause war oder einfach allein sein wollte, das erfuhr ich nie und fragte auch nicht danach. Die große, über vierzigjährige Melina und der vierzehnjährige Schuljunge mit den zwei Pickeln am Kinn behandelten einander mit großem Respekt und mit der Diskretion, die Kosta mir schon von Melinas Seite her versichert hatte.
    Viel mehr aber als die eigentlichen Liebesstunden war es ihre Gesellschaft, die mir zu meinem geheimen Bedürfnis wurde. Ich liebte die Wärme ihres starken Armes, der mich in ihrem Himmelbett umschlungen hielt, während wir über Gott und die Welt plauderten und es gab nichts, worüber man mit ihr nicht hätte reden, lachen und träumen können. Sie spann Fäden für meine Zukunft, sah mich mit Lorbeeren der Dichtkunst bekränzt oder als berühmten Schauspieler auf den Theaterbrettern der Welt, von tosendem Applaus umbrandet. Den Träumen und Gedanken waren keine Grenzen gesetzt, weder ihren eigenen noch meinen, wir ließen sie in jede nur erdenkliche Richtung fliegen. Es war Melina, die mich lehrte, keine Angst vor neuen Ideen und gewagten Plänen zu haben und alles frei auszusprechen. Zumindest bei ihr. Bei ihr war alles möglich und natürlich, viel mehr als in der Gesellschaft Gleichaltriger!
    Ich wurde auch neugieriger, was ihr eigenes Leben betraf. Ich fragte mich zum Beispiel, warum sie eigentlich allein lebte und keinen Mann hatte. Als ich mich irgendwann traute, ihr diese Frage zu stellen, sagte sie:
    »Mein Herzblatt, welcher Mann wäre mir auf Dauer gewachsen? Ich bin nicht geschaffen für einen einzigen Mann in meinem Leben!«
    »Und wovon lebst du?«
    »Brauche ich etwa einen Mann dazu? Von meiner Mitgift natürlich!«, rief sie lachend. »Anstatt sie einem Mann in den Rachen zu schmeißen, der sie womöglich im erstbesten Kafenion verzocken würde, verzehre ich sie doch lieber selbst und bleibe mein eigener Herr!«
    Irgendwann jedoch, es mochte schon gegen Ende des Herbstes gewesen sein, erzählte sie mir etwas, das mich dann doch an ihrem Verstand zweifeln ließ.
    »Es ist Zeit, dass ich dir mal zwei wichtige Geheimnisse verrate, mein Herz«, sagte sie, während wir nebeneinander in ihrem Himmelbett lagen und ihre Hand zärtlich durch mein Kraushaar streichelte. »Heute das erste, ein großes, und das betrifft mich. Dir als Einzigem erzähle ich es, denn du bist ein besonderer Junge, intelligent, belesen und feinfühlig, und du betrachtest die Dinge nicht nur von einer, sondern von allen Seiten und bleibst nicht an der Oberfläche, sondern dringst auch in die Tiefe. Darauf kommt es an, und das verstehen nur wenige! Aus dir wird bestimmt ein großer Dichter und deshalb erzähle ich dir jetzt auch meine Geschichte. Hör zu. Ich, die du mich hier neben dir liegen siehst, ich bin eine Tochter der Aphrodite

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