Liebe und andere Schmerzen
abzuholen, lächelnd an.
Milde Sommerluft umstreicht Olgas Wangen, als sie mit David den Trampelpfad neben dem Flüsschen entlangspaziert. Das warme Licht der Abendsonne fällt durch die Baumreihen neben dem Pfad. Die Zweisamkeit mit David verwirrt Olga, verlegen spielt sie mit einem abgerupften Zweig herum und vermeidet seinen Blick. David wiederum beginnt ihr von seiner neuen Ausbildungsstelle bei einem Pharmaunternehmen zu erzählen, um das unangenehme Schweigen, das zwischen den beiden herrscht, seit er sie von Zuhause abgeholt hat, zu brechen. Vereinzeltes Nicken und Lächeln von ihrer Seite genügen ihm nicht, er weicht von seiner Taktik ab und beginnt sie mit Fragen über Schule, Familie und alle möglichen anderen Themen zu löchern und nach und nach zeichnen sich erste Erfolge ab. Olga taut auf, entspannt sich zunehmend, während sie sich über Olgas im Sommer anstehende Abiturprüfungen und die neuen Arbeitskollegen von David unterhalten. Ein Stück abseits vom Weg, verborgen durch Büsche und Bäume finden sie ein freies, kiesbedecktes Plätzchen direkt am Wasser und machen es sich bequem. Während das Gespräch munter weiterplätschert, rückt David unmerklich näher an Olga heran. Die mühsam weggeredete Unsicherheit kriecht langsam wieder in ihr hoch, als Davids Körper sich Zentimeter um Zentimeter an ihren heranschiebt, während er gleichzeitig mit Begeisterung über Ewalds Predigt vom Vortag monologisiert.
Was mache ich hier eigentlich? – fragt sich Olga verzweifelt. Sie will und will doch nicht hier sein mit ihm, wünscht sich Anna an seine Stelle und verflucht sich im selben Augenblick dafür. David ist der Richtige! –schärft sie sich ein, während sie ihm gedankenverloren zuhört und ihn anlächelt. Mittlerweile sitzen die beiden eng nebeneinander und David, dem der Gesprächsstoff ausgegangen ist, wagt den nächsten Schritt. Vorsichtig legt er seinen Arm um sie und greift mit der anderen Hand sachte nach ihrer Hand. Olga lässt alles geschehen, froh, dass sie nicht selbst die Initiative ergreifen muss, froh, dass David all das übernimmt und sie nur noch folgen muss. Sich fallen lassen. Sich auf sich selbst konzentrieren, auf ihr inneres Mantra, dass spätestens seit gestern Abend in Dauerschleife läuft: Er ist der Richtige, es ist richtig so, alles wird gut ...
Schweigen breitet sich zwischen ihnen aus. Olga starrt auf das Wasser, das sanfte Rauschen der Wellen, von dem sie sich so gerne einlullen und wegtragen ließe, an einen angenehmeren Ort. Davids Hände beginnen zu wandern. Sachte streicht die rechte Hand über ihren Rücken, mit der linken spielt er mit den Fingern ihrer Hand. Ihre Wangen beginnen vor Verlegenheit zu glühen. Sie spürt seinen Blick, spürt, dass er darauf wartet, dass sie ihn endlich ansieht. Langsam dreht sie den Kopf und sieht ihn schweigend an. Ernst und fragend blickt er sie an, dann beginnt er, sie zu küssen. Überrascht spürt Olga, wie sich seine warme, feuchte Zunge in ihren Mund schiebt, ihre Zahnreihen abtastet, ihre Zunge anstupst. Sie lässt es geschehen, registriert, wie seine Hände ihren Oberkörper streicheln, ihre Brüste berühren.
Richtig so, weiter so, es muss so sein ... – summt ihr das Mantra vor. Sie hört das schmatzende Geräusch von Davids Lippen auf ihren, das sie aus Hollywood-Kitschfilmen kennt und das ihr jetzt merkwürdig surreal vorkommt, spürt seine nasse Zunge, die sich wie ein riesiger Fremdkörper in ihrem Mund anfühlt und langsam kriecht der Ekel in ihr hoch.
»Was ist los, hab ich was falsch gemacht?«, fragt David besorgt, als sie sich aus der Umarmung löst.
»Nein, nein, es ist nichts. Nur... es ist doch schon spät, ich glaube ich sollte langsam mal wieder heim«, murmelt sie verlegen.
»Ok, klar.« David gibt sich Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen, Olga merkt es trotzdem und bekommt ein schlechtes Gewissen.
»Es ist toll mit dir, ich mag dich sehr«, beeilt sie sich zu sagen. Sie möchte ihn auf keinen Fall vor den Kopf stoßen, nur weg sein und ihre Ruhe haben, so schnell wie möglich. David bringt sie nach Hause, schweigend legen sie den Heimweg zurück, er umarmt sie zum Abschied, ihr einen Kuss zu geben wagt er nicht.
Hannahs Neugier ist nicht zu bremsen. Sie fragt Olga Löcher in den Bauch, und lässt sich von deren wortkargen Erwiderungen nicht einschüchtern. Die beiden Mädchen stehen vor Unterrichtsbeginn draußen auf dem Schulhof, unter dem riesigen, uralten Kastanienbaum, der von allen
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