Liebe und Tod in Havanna
immer bei bester Laune.
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Pedro fühlte sich zwanzig Jahre jünger.
»Das liegt daran, dass ich mein eigenes Haus baue!«, sagte er zu José, als sie auf der Terrasse eine Kaffeepause einlegten. »Bei uns in Europa sind es die jungen Leute, die sich ein Haus bauen. Als ich fünfundzwanzig war, habe ich mit meiner damaligen Frau einen Schafstall umgebaut, im Corbières. Wir haben alles selbst gemacht, die Maurerarbeiten, Strom, Wasser. Später vergisst man das und ruft den Klempner. Mit Autos ist es dasselbe. Meinen ersten Wagen, eine Ente, habe ich viermal auseinandergenommen! Heute habe ich alles vergessen, aber für den Lastwagen werde mich damit wieder auseinandersetzen müssen.«
9
D ER L ASTWAGEN
Der Lastwagen war das Hauptgesprächsthema zwischen Pedro und José. Natürlich sprachen sie auch über viele andere Dinge, aber früher oder später kamen sie immer wieder auf den Lastwagen zurück.
Ein kubanisches Einkommen von anderthalb Jahrhunderten verdient es wohl auch, dass man sich etwas eingehender damit beschäftigt.
Es verging nicht ein Tag, ohne dass die beiden Männer zuweilen weite Reisen unternahmen, um einen Wagen zu inspizieren, von dem man ihnen wundersame Dinge berichtet hatte.
Aber ihre Ansprüche waren so hoch, dass sie unverrichteter Dinge zurückkehrten. In zwei Monaten nahmen sie alles in Augenschein, was die Provinz Pinar an historischen Liefer- und Lastwagen zum Verkauf anbot. Hätte man sie alle an einem Ort versammelt, so hätte man das bedeutendste Automobilmuseum der Welt gegründet. Doch die doppelte Überprüfung durch José und Pedro war so gründlich, dass kein einziger Wagen vor ihren Augen Gnade fand.
Eines Tages jedoch war es endlich so weit. An einem schönen Julimorgen fanden sie ganz hinten in einem Schuppen, in der Nähe von Puerto Esperanza, die seltene Perle. Vor ihnen stand ein De Soto von 1958, der wie nagelneu aussah, so als hätte er gerade erst die Fabrik verlassen, nur dass er von den Felgen bis zum Dach bunt bemalt worden war. Das war nicht nur ein Lastwagen, sondern ein rollendes Kunstwerk. Auf der Beifahrertür thronte eine Jungfrau mit dem Kinde vor einer typischen Viñales-Landschaft. Die Fahrertür wurde von einem Porträt des Gottes Chango verziert, dem Heiligen des Krieges und des Donners, der gerade einen Drachen niederschlug. Die mogotes von La Palma mitsamt Büffeln und Palmen dekorierten die Hecktür. Die Fahrerkabine war von einem Sternenhimmel überspannt. Das hölzerne Lenkrad schließlich war mit Krokodilsleder geschmückt. Die Ladefläche hielt noch mehr Überraschungen bereit: Sie entpuppte sich als richtiges Schlafzimmer und war mit einem Holzbett aus der Kolonialzeit einschließlich zweier passender Nachttischchen, einer Schirmlampe, zwei Ledersesseln und sogar einem Nachttopf unter einer Kommode ausgestattet. Sogar ein Teppich lag zu Füßen der metallenen Leiter, damit man sich beim Hereinkommen die Füße abtreten konnte.
Der De Soto war so gut wie nicht gefahren worden, und zwar aus dem einfachen Grund, weil sein Besitzer verrückt war.
Er hieß Fidel, und ausgerechnet Fidel hatte ihn verrückt gemacht.
Als leidlich wohlhabender Viehzüchter hatte er seinen Lastwagen einige Monate vor dem, was man gemeinhin als den »Triumph der Revolution« bezeichnete, gekauft.
Er war kaum dazu gekommen, mit seinem Lastwagen zu fahren, da hatten die »Bärtigen« auch schon Havanna eingenommen.
Da er unter Batista Polizist gewesen war, hatte man ihm auf der Stelle seinen Bauernhof weggenommen und ihm lediglich einen Schuppen und ein Stückchen Land am Rande des Grundstücks gelassen.
Dort hatte er, aus Angst, dass man ihm auch den wegnahm, seinen Lastwagen versteckt. Um die Reifen zu schonen, hatte er ihn auf Böcke gehievt und ihn mit einer großen Plane aus zusammengenähten Reis- und Kartoffelsäcken zugedeckt.
Wie seine Nachbarn hatte er begonnen, Fahrrad zu fahren. Er hatte ohnehin kein Geld, um Benzin zu kaufen. Außerdem war sein Lastwagen nicht nur ein einfacher Lastwagen, er war das Symbol einer Zeit, die zwangsläufig wiederkehren musste! Also schwor sich Fidel, dass er den De Soto erst dann wieder herausholen würde, wenn der andere Fidel und dessen unheilbringende Bärtige verschwunden wären. Und er hatte sich angewöhnt, in seinem Lastwagen zu schlafen.
Sonntags schmückte er ihn zum Zeitvertreib mit seinen frommen Malereien, die er von Heiligenbildern abmalte.
Da der
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