Liebe und Tod in Havanna
Jo, das führt zu nichts. Komm lieber schlafen, wir sehen morgen weiter.«
Es war Nacht geworden. Die kleinen Chinesen von gegenüber tobten sich in einem derart lauten und blutrünstigen Videospiel aus, dass Jo seiner Frau den Bauch hätte aufschlitzen können, ohne dass irgendwer etwas gehört hätte.
Anne hatte wieder ihren Morgenmantel angezogen und sich dann neben Jo gelegt.
»Liebe machen bedeutet nichts, Jo. Lieben ist ja schon so vage.«
Eine ganze Weile schwiegen sie. Dann, als er gerade dabei war, einzuschlafen, öffnete sie ein wenig ihren Morgenmantel, entblößte ihre Brust und schmiegte sich an Jo.
Und er schnappte im Halbschlaf wie ein Baby nach ihrer Brust und saugte einen Moment daran.
––– ¤ –––
Endlich einmal hatte sie morgens ausschlafen können. Ihr erster Ferientag! Kein Wecker, keine École Alsacienne. Ein Sonnenstrahl spielte auf ihrem Gesicht, bis sie ein Auge öffnete. Jo war nicht mehr da. In der Wohnung rührte sich nichts. Vermutlich trank er gerade seinen Kaffee im Week-End. Seit je frühstückte Jo dort. »Jeder Schriftsteller, der auf sich hält, trinkt seinen Kaffee im Bistro, um ein wenig Zeitgeist zu schnuppern.«
Sie wollte gerade hinaus, um ihm im Bistro Gesellschaft zu leisten, als sie die Nachricht auf dem Tisch fand. Ein Computerausdruck, eine Normseite mit dem Anfang eines seiner Romane:
TITEL: REISE NACH KUBA
ERSTE SÄTZE: Anne, ich habe einen Flug für heute gefunden. Es ist besser so. Ich werde ohnehin eine Woche brauchen, um mich ans Klima zu gewöhnen, und so werde ich wenigstens nicht länger bei dir rumhängen. Nichts ist bescheuerter als große Abschiede, die sich in die Länge ziehen, Lebewohls, die kein Ende finden. Als ich im Week-End meinen Kaffee getrunken habe, musste ich an unseren Urlaub im letzten Jahr denken. An den Tag unserer Abreise. Wir haben gelacht wie die Kinder. Wir hatten die Sitze umgeklappt und eine Matratze hinten in den Wagen gelegt. Abends haben wir neben der Brücke geschlafen, am Canal de Briare. Unglaublich, dieser Kanal, der über eine Brücke oberhalb der Seine fließt und alle zehn Meter von Laternen beleuchtet wird, die des Schlosses von Versailles würdig wären. Wie glücklich die Besitzer der Schleppkähne sein müssen, wenn sie die Nacht auf der Brücke von Briare verbringen. Für sie muss es wie Disneyland sein. Wir hatten uns vorgenommen, dass wir im nächsten Jahr mit einem Kahn über die Kanäle schippern, ideal, um in Ruhe zu schreiben. Alle paar Minuten eine neue Landschaft und die Schreibmaschine immer am selben Platz.
Unsere Füße hingen aus dem Kofferraum, aber das hat uns nicht davon abgehalten, uns wie wild zu lieben. Um zwei Uhr morgens, als wir wieder von vorne anfingen, kam ein alter Hund und setzte sich vor uns. Er hatte einen sehr sanften Blick und verfolgte damit unbeirrbar das Hüpfen des Wagens mitten in der Nacht.
Wie versprochen, habe ich nichts mitgenommen. Drei Hemden, drei Hosen, ein paar Krawatten, meine Uniformjacke. Alles andere lasse ich hier.
Ich rate dir, die Winchester zu verkaufen. Sie ist ein Sammlerstück. Gib die Patronen als Bonus dazu: Sie sind in der linken Schublade der Kommode. Dann hast du Geld für Urlaub. Du kannst auch den Computer verkaufen, wenn du jemanden findest, der dumm genug ist, ihn dir abzukaufen. Wenn ich zurückkomme, wird er völlig veraltet sein, solche Dinge verändern sich alle sechs Monate, also besser, man verhökert ihn jetzt, solange noch Zeit ist. Mach dir keine Sorgen, ich habe alles gelöscht. Nicht ein Wort findet sich auf ihm, er ist sozusagen vollkommen jungfräulich.
Sag Mama lieber nicht sofort, dass wir uns getrennt haben, sonst macht sie gleich wieder ein Drama draus. Seit der Alte sie verlassen hat, ertränkt sie uns förmlich in ihrer ganzen Liebe.
Stimmt schon, wir waren ein schönes Paar, aber was soll’s. Optisch gesehen ist dein neuer Freund auch nicht übel. Wenn du möchtest, dass er zu dir zieht, bitteschön, nur keine Hemmungen.
Sobald ich das erste Mal aus Kuba zurückkomme, werde ich einen Anwalt aufsuchen, um die Scheidung in die Wege zu leiten. Was das Geld angeht, mach dir keine Sorgen, ich will dir alles zurückzahlen. Ich sage mir nämlich, wenn ich es schaffe, alles bis zum letzten Centime zurückzuzahlen, ohne rückfällig zu werden, werde ich vielleicht ein anderer Mensch.
Vielleicht wird es mir dann auch gelingen, mehr als einen Satz eines Romans zu schreiben, wer weiß?
Deine Brüste werden
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