Liebe und Tod in Havanna
war, dass sie nur abends kam. Wenn er am Flughafen oder mit seinen Kollegen zusammen war, fühlte er sich sehr unwohl mit Nieve an seiner Seite.
War er etwa ein Rassist? Sich im Nachleben Havannas mit einer kleinen, ungebildeten Schwarzen in Salsa-Bars zu zeigen, das passte, aber in Paris hätte er sich geschämt.
Am Flughafen fertigte er jeden Tag Dutzende solcher gemischten Paare ab: ein Mann mittleren Alters, zumeist mit Schmerbauch, doch voller guter Absichten, der eine verängstigte und zugleich entzückte Kleine auf Hochzeitsreise mit nach Europa nahm.
Es kam ihm so vor, als kehrten diese Männer mit einer Frau im Schlepptau aus Kuba zurück, wie andere mit einem Sombrero auf dem Kopf aus Mexiko. Sie brachten ein Souvenir mit, um den Freunden zu beweisen, dass sie einen schönen Urlaub hatten. Nur dass das Souvenir der Männer, die aus Kuba zurückkamen, eine Frau war. Um also nicht wie Sklavenhändler zu wirken, verpackten sie ihr Abenteuer in ein kulturelles Gewand und schmückten es mit humanistischen Alibis: »Sie steckte ganz tief in der Misere, bei mir wird sie glücklicher sein als auf dem Malecón und sie kann noch lernen«, ohne sich jemals selbst einzugestehen, dass sie in ihrem Gepäck eine lebende Gummipuppe mit nach Frankreich gebracht hatten, die bei Bedarf auch als gute Hausfrau einsetzbar war.
»Es wird immer verrückter!«, gestand Chabert, der Kulturattaché der Botschaft. »Wir haben dieses Jahr vierhundert Ehen geschlossen, im nächsten Jahr werden es tausend sein! Und dabei wirft man ihnen Steine in den Weg, wo es nur geht, das können Sie mir glauben. Da können wir ihnen noch so oft erklären, dass die Mädchen Nutten sind, die es nur machen, um aus Kuba rauszukommen und sich die Papiere zu angeln, aber nichts zu machen! Da, sehen Sie mal, der Typ, der da hinten am Schalter steht, ist ein leitender Angestellter von Péchiney, er kommt schon zum fünften Mal nach Kuba, um irgendwelche absurden Behördengänge zu erledigen. Denn zu allem Überfluss sind die Kubaner auch noch prozesssüchtig, also sollte man meinen, dass die Typen das Spiel langsam aufgeben. Aber nein! Sie wollen es nicht anders! Sie klammern sich daran fest! Man könnte fast glauben, dass der Hintern kubanischer Frauen Zauberkräfte besitzt!«
Chabert war durch und durch reaktionär. Als Agent des S.D.E.C.E. — des französischen Auslandsgeheimdienstes –, der damit beauftragt war, die militärischen Kapazitäten Kubas einzuschätzen – auf den Posten des Kulturattachés hatte man ihn zur Tarnung katapultiert –, zog er unaufhörlich über die kubanische Regierung her, was ihn jedoch, wenn er hinter dem Steuer seines Dienst-Peugeots saß, nicht daran hinderte, am Straßenrand Mädchen aufzugabeln.
»Touristen sind doch arme Idioten! Die Mädchen vom Malecón sind Abschaum. Die besten Frauen sind die Soldatinnen, die von der Kaserne per Anhalter nach Hause fahren. Sich von einem Mädchen in Uniform verwöhnen zu lassen ist einfach das Größte, glauben Sie mir! Und billiger ist es auch!«
Jo fragte sich oft, ob auch er selbst reaktionär war.
Wenn der Alte, sein Vater, da gewesen wäre, hätte er ihm geantwortet: »Wenn du dir die Frage stellst, ob du reaktionär bist, bist du es schon ein bisschen weniger.«
Doch was war mit Rassismus? War er Rassist?
Der Alte hatte eine sehr genaue Vorstellung von Rassismus.
»Wer nicht mit Rassen konfrontiert ist, ist selten rassistisch. Eine Gruppe Eskimos, die abgeschieden hoch oben im Norden lebt, ist nicht rassistisch. Aber werft über ihnen und ihren Seehunden mit dem Fallschirm einen Senegalesen ab, und schon gehen die Probleme los.«
»Ich bin Rassist!«, verkündete Chabert oft, »ich mag nur schwarze Frauen. Weiße Frauen finde ich zum Kotzen.«
Und Jo musste daran denken, was Thelonious Monk einmal gesagt hatte: »Ich hasse die Weißen so sehr, dass ich beim Klavierspielen nur die schwarzen Tasten benutze.«
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Paris, 10. Oktober
Jo,
ich weiß, dass dieser Brief dir zwiespältig erscheinen wird. Ich liebe dich nicht mehr, aber ich habe Lust, dich zu sehen. Ich verstehe mich hervorragend mit dem Mann mit der Strähne, den du so unangenehm fandest. Er ist überhaupt nicht so, wie du denkst. Schließlich kann er nichts dafür, dass er gut aussieht, und er ist nicht nur deshalb unbeschwert, weil er so belanglos ist. Er ist mir gegenüber sehr aufmerksam, sehr zartfühlend. Aber ich habe Lust, dich zu sehen. Einfach so. Das muss einer
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