Liebe und Vergeltung
Magen zusammen. Schließlich rief sie fassungslos aus: „Welcher Abschaum vom Männern ist imstande, Kinder so zu quälen?“
„Die Kunden kommen aus allen Gesellschaftskreisen, Madam“, antwortete Jenny und lächelte bitter. „Ich wette jeden Penny, daß einige der hochgestellten Gentlemen, die zu Mrs. Bancrofts Klientel zählen, Ihnen bei Bällen ehrerbietig die Hand küssen. Und für Geld ist alles zu haben, was ein feiner Herr begehrt. Mädchen und Jungen jeden Alters, allein oder gemischt.“
„Jungen?“ wiederholte Sara und furchte die Stirn.
„Madam, darüber sollte ich wirklich nicht mit Ihnen reden“, sagte Jenny unbehaglich.
„Ich will es wissen!“ entgegnete Sara beharrlich. Es hatte keinen Sinn, die Augen vor den Realitäten des Lebens zu verschließen.
Widerstrebend begann Jenny, der Herrin von den Torturen zu erzählen, die ein Mann einem Knaben antun konnte.
Sara preßte die Hände zusammen und sagte, als die Zofe schwieg, in gepreßtem Ton mehr zu sich selbst: „Wie ist es möglich, daß so etwas in einer Stadt wie London geschehen kann!“
„Die Gesetze werden von Menschen gemacht, denen Macht gegeben ist“, meinte Jenny verächtlich. „Doch die Starken beuten nur die Schwachen aus und kümmern sich nicht darum, welche Katastrophen sie verursachen.“
„Ich kann verstehen, daß du die Welt aus diesem Blickwinkel betrachtest“, stimmte Sara seufzend zu. „Glücklicherweise gibt es Leute, die Rang und Namen und die nötige gesellschaftliche Geltung haben, um solche Grausamkeiten zu verhindern. Ich werde alles in meinen Kräften stehende tun, um den Unglücklichen zu helfen, und sehen, wen ich für mein Anliegen gewinnen kann.“
„Sie werden doch hoffentlich Seiner Hoheit nicht sagen, was ich Ihnen erzählt habe?“ fragte Jenny ängstlich. „Er würde es mir nie verzeihen.“
„Nein, ich verrate ihm nichts“, versicherte Lady Sara und lächelte die Zofe beruhigend an. „Aber mein Gatte ist ein lebenserfahrener Mann, der nicht so leicht aus der Fassung zu bringen ist. Ich bezweifele, daß es etwas gibt, das ihn noch überraschen kann.“ Und wie die meisten Menschen war wohl auch Mikahl geneigt, das Böse in der Welt hinzunehmen und keine Zeit daran zu verschwenden, es zu bekämpfen. Aber er selbst hatte Leid ertragen müssen, und so stand es Sara, die ein so behütetes, wirklichkeitsfernes Dasein geführt hatte, nicht zu, ihn zu kritisieren.
Dennoch hätte sie ihn gern zu Rate gezogen, welche Schritte zu unternehmen wären, um Mrs. Bancrofts Etablissement zu schließen. Doch dann hätte sie ihm gestehen müssen, woher sie ihre Kenntnisse hatte, und das bedeutete, Jenny preiszugeben. Nein, es war ratsamer, sich noch mehr über dieses Thema zu informieren und sich erst dann an ihn zu wenden.
Sara wußte, sie würde die Welt nicht verändern. Prostitution war so alt wie die Menschheit und würde nie auszurotten sein. Doch es war etwas ganz anderes, hilflose Kinder zu schänden. Das war ein gemeines, widerliches Verbrechen, und Sara nahm sich vor, den Schuldigen das Handwerk zu legen.
Sie erhob sich und ging die Treppe zur Halle hinunter. Im gleichen Moment sah sie Gates, der schon lange beim Duke of Haddonfield in Diensten gestanden und ihn ersucht hatte, Lady Sara nach Sulgrave Manor begleiten zu dürfen. Sara hatte das Anerbieten gefreut, und da auch der Vater und Mikahl einverstanden gewesen waren, bekleidete Gates jetzt die Stellung des Butlers.
„Guten Morgen, Eure Hoheit“, begrüßte er sie und verbeugte sich tief. „Die Köchin ersucht Sie, mir mitzuteilen, zu welcher Zeit Sie heute abend zu dinieren wünschen.“
„Gegen zehn Uhr“, antwortete Lady Sara. „Aber richten Sie Mrs. Wheatley aus, sie sollte etwas herrichten, das sich leicht aufwärmen läßt, falls mein Gatte später als beabsichtigt heimkommt. Übrigens, ich bin sehr mit Ihnen zufrieden, Gates“, fügte sie hinzu, während sie sich die rehledernen Handschuhe anzog. „Auch Seine Hoheit hat gestern anerkennend geäußert, wie reibungslos alles im Haushalt verläuft.“
„Es ist mir ein Vergnügen, Ihnen zu dienen, Mylady“, erwiderte Gates und lächelte stolz. „Auf diese Weise kann ich etwas von dem gutmachen, was Ihre Familie und Seine Hoheit für mich getan haben.“
„Was die St. James’ betrifft, kann ich Ihre Bemerkung verstehen“, sagte Sara und fragte dann verwundert: „Aber mein Gemahl? Er kennt Sie doch erst seit kurzer Zeit.“
„Sie wissen doch, wie Dienstboten sind,
Weitere Kostenlose Bücher