Liebe und Vergeltung
doch so weich, sanft und gefühlvoll gewesen. Und die Erkenntnis, daß sie sich ihm verbunden fühlte, ihn mit liebender Anteilnahme empfing, hatte etwas in ihm berührt und zum Klingen gebracht, an dessen Existenz er nicht mehr zu glauben wagte.
Es war gefährlich, weich zu werden. Schwäche durfte er sich nicht erlauben. Er nahm sich vor, in Zukunft vorsichtiger zu sein und sich vor Sara keine weitere Blöße zu geben. Schwierig konnte das nicht sein, wenn er darauf achtete, ihr keinen neuen Anlaß zu unliebsamen Fragen zu geben.
Er überlegte, was er ihr antworten sollte, falls sie sich nach seiner Sklavenzeit erkundigte. Nicht willens, sie zu belügen, konnte er ihr die volle Wahrheit jedoch niemals mitteilen. Das Wissen, was ihm widerfahren war, hätte die wachsende Vertrautheit jäh zerstört. Es war besser, manche Dinge nicht aufzurühren und sie der Vergessenheit zu überlassen.
Behutsam zog er den Arm von ihr fort, stützte sich auf den Ellbogen und schaute sie an. Sie sah wundervoll jung, unschuldig und hilflos aus, aber er wußte, der Eindruck täuschte. Im Wesen war sie stark, tapfer und unerschrocken und fähig, ihm eine feurige Geliebte zu sein, obgleich erst er ihre Leidenschaft geweckt hatte. Von ihrem bezaubernden Anblick bewegt, neigte er sich vor und drückte ihr einen leichten Kuß auf die Stirn.
Langsam schlug sie die Lider auf und lächelte herzlich. „Guten Morgen, Mikahl“, flüsterte sie schläfrig.
„Guten Morgen, Prinzessin“, erwiderte er zärtlich und strich ihr das Haar aus der Stirn.
Eine Weile schaute sie ihn schweigend an und dachte flüchtig daran, ihn zu fragen, warum er Sklavendienste hatte leisten müssen. Aber vermutlich hätte er es ihr nicht erklären wollen und Ausflüchte gemacht. Es war sinnvoller, ihn nicht zu Lügen zu zwingen und darauf zu warten, bis er eines Tages bereit war, die Sprache auf dieses Thema zu bringen. Sara reckte sich wohlig und bekannte zufrieden: „Ich muß gestehen, ein gemeinsames Lager ist viel angenehmer, als allein zu schlafen.“
Es war Mikahl nicht entgangen, daß sie erwogen haben mußte, ob sie sich nach seiner Vergangenheit erkundigen sollte. Erleichtert, daß sie sich für das Gegenteil entschieden hatte, streckte er sich wieder neben ihr aus und sagte, während er sie begehrlich in die Arme nahm: „Du bist eine sehr vernünftige Frau, Sara.“
Von den Geschäftsräumen, die Charles für seine verschiedenen Unternehmungen unterhielt, benutzte er zur Zeit fast ausschließlich die der Eisenbahngesellschaft. Mehr denn je erschien es ihm geboten, sich selbst in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender um alle anfallenden Entscheidungen zu kümmern.
In nicht sehr guter Stimmung betrat er das elegant eingerichtete Zimmer, schenkte sich aus der Silberkanne, die auf einer Anrichte für ihn bereitstand, Tee in eine goldgerandete Tasse und nahm an dem messingbeschlagenen Bureau aus Satinholz Platz, auf den ein Angestellter des Kontors ihm jeden Morgen die Ausgaben des „Morning Chronicle“ und der „Times“ legte.
Er lehnte sich bequem im Fauteuil zurück, nahm die „Times“ zur Hand und überflog die Schlagzeilen. Beim Weiterblättern fiel sein Blick auf die Gesellschaftsnachrichten, die er im allgemeinen überging. Jetzt jedoch wurde seine Aufmerksamkeit von dem Wort „Haddonfield“ angezogen, und neugierig las er die Notiz, daß Lady Sara St. James, die Tochter des Duke of Haddonfield, drei Tage zuvor Mikahl, Prinz Balagrini von Kafiristan, geheiratet hatte.
Verächtlich ließ er die Zeitung sinken. Vermutlich hatte die Schlampe gemerkt, daß sie guter Hoffnung war, und deshalb solche Eile gehabt, sich mit dem Lüstling zu vermählen. Charles grinste breit. Er konnte den beiden nur wünschen, daß sie die Flitterwochen in vollen Zügen genossen, denn die Zeit, die sie miteinander verbringen durften, war knapp bemessen.
Er faltete die „Times“ zusammen, warf sie auf die rechte Seite des Schreibtisches und widmete sich der eingegangenen Post. Anschließend befaßte er sich mit den neuen Entwürfen für die Waggons der L & S, die in Yorkshire gebaut werden sollten, brachte bei einigen Änderungen an und verwarf andere ganz.
Gegen Mittag wurde er durch ein Klopfen gestört. „Herein!“ rief er unwirsch.
William Kane betrat den Raum, setzte sich unaufgefordert in den vor dem Bureau stehenden Sessel und verkündete stirnrunzelnd: „Es gibt Ärger, Sir.“
„Welcher Art?“ erkundigte Charles sich überrascht.
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