Liebe und Vergeltung
„Nur weil du mich mit Mikahl bekannt gemacht hast, mußt du dich nicht gleich für mein Wohl verantwortlich fühlen. Er und ich sind allein unseres Glückes Schmied. Also hör auf, dich um mich zu sorgen, Alastair. Es wäre nicht deine Schuld, wenn ich eines Tages unzufrieden bin.“
„Das sagst du so leicht“, entgegnete er und hielt Sara die Tür auf. „So einfach ist das nicht für mich. Du wirst eben weiterhin so freudestrahlend bleiben müssen, damit ich keine Gewissensbisse bekomme!“
Sara schlug den weißen Schleier zurück, nahm den Zylinder ab und übergab ihn mit der Reitgerte und den Handschuhen dem hinzugeeilten Butler. „Mikahl und ich werden bald nach London fahren“, sagte sie strahlend. „Auch wenn wir in der Nachsaison sind, brenne ich darauf, meinen wunderbaren Gatten herumzuzeigen.“
„Offenbar hat Mutter dich überredet, zu Lettys Ball zu gehen“, stellte Alastair trocken fest.
„Ja, auch das ist ein Grund. Ich habe Leticia seit Jahren nicht mehr gesehen und halte es für meine Pflicht, beim gesellschaftlichen Debüt ihrer Tochter anwesend zu sein. Natürlich graust mir vor dem Fest. Es wird einer dieser schrecklich langweiligen Bälle werden, bei dem Hunderte von Gästen anwesend sind. Mikahl meinte, ich hätte mehr Cousins und Cousinen denn jeder andere, den er je kennengelernt hätte. Wenigstens sträubt er sich nicht, mich zu solch lästigen Anlässen zu begleiten. Außerdem hat er geschäftlich in London zu tun, und ich will die Gelegenheit nutzen, um einige Einkäufe für unser Stadthaus zu tätigen. Im übrigen legt Vater großen Wert darauf, daß Mikahl bei Hofe vorgestellt wird. Wir werden wahrscheinlich vierzehn Tage in Mayfair bleiben. Werde ich dich bei Lettys Ball sehen?“
Alastair schüttelte sich übertrieben.
„Nun, das war eine dumme Frage. Du ziehst es ja vor, dich hinter deinen Büchern zu vergraben.“
„Auch Mutter wirft mir vor, ich würde langsam zum Einsiedler“, erwiderte er lächelnd. „Sie meinte, sie würde es sich zur Pflicht machen, mich ab sofort regelmäßig unter die Leute zu bringen. Ich komme mehr und mehr zu der Einsicht, daß es besser wäre, die Flucht anzutreten und wieder zu reisen. Vielleicht fahre ich zuerst nach Konstantinopel und dann weiter durch das Osmanische Reich nach Ägypten oder Persien.“ Sara unterdrückte einen Anflug von Angst. Sultan Mahmud II. hatte erst vor wenigen Wochen Ägypten angegriffen und eine vernichtende Niederlage erlitten. Es war sehr gefährlich, sich in die levantinischen Länder zu wagen. Doch sie konnte Alastairs Drang nach Freiheit und Abenteuern gut verstehen und unterließ es, ihn zurückhalten zu wollen. In seiner näheren Umgebung wußte jeder, daß ein gesellschaftliches Leben ihm nichts mehr bedeutete, seit seine Frau ihn böswillig verlassen hatte.
Es war wirklich ein seltsamer Tag. Mikahl war geschäftlich in London, dann die Unterhaltung mit Jenny, gleich darauf Gates’ Äußerung, er habe im Vertrauen auf den Geschäftssinn Seiner Hoheit Aktien der L & S erworben, und nun verkündete Alastair, daß er England den Rücken wenden wollte.
Die schöne Zeit der Flitterwochen war vorbei. Der Alltag hatte Sara wieder eingeholt.
Innerlich triumphierend,, bemühte Mikahl sich um eine gefaßte Miene, betrat Benjamin Slades Kanzlei und warf achtlos den Zylinder auf einen Stuhl.
„Guten Morgen“, begrüßte er den Anwalt. „Ich habe mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, daß die Würfel gefallen sind. Wie haben die Finanzkreise auf die Nachricht reagiert, daß die L & S seit gestern von einer Prozeßlawine überrollt wird?“
„Der Wert der Papiere ist heute morgen um die Hälfte gefallen und sinkt noch immer“, antwortete Benjamin, lehnte sich zurück und verschränkte die Finger vor der geblümten Weste. „Einem Prozeß um die Höhe der Entschädigungen hätten die Aktienhalter wohl noch mit einiger Gelassenheit entgegengesehen und vielleicht auch noch hingenommen, daß die Fortführung der Strecke über Crawleys Land gerichtlich untersagt wurde. Doch die Anzeige wegen erpresserischer Nötigung und Körperverletzung mit Todesfolge im Falle von Jimmy Crawley hat jeden in Angst und Schrecken versetzt. Das Entsetzen hätte nicht größer sein können, wenn Weldon auf der Stelle verhaftet worden wäre.“
„Ausgezeichnet!“ erwiderte Mikahl, setzte sich und rieb sich vergnügt die Hände. „Ich bin mit der Entwicklung der Dinge vollauf zufrieden.“
„Für jemanden, der wie Sie
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