Liebe und Vergeltung
mehrkränziger Kristalleuchter brach sich auf dem eingelegten roten Marmorboden, und die vielen weißen Pilaster und Säulen des oberen Vestibüls erstrahlten im Glanze flutenden Lichtes.
Es dauerte eine Weile, bis Mikahl, Prinz von Kafiristan, und seine Gemahlin bei Lord und Lady Sanford angelangt waren. Sie wurden herzlich willkommen geheißen, und die Marchioness äußerte ihr Entzücken, Lady Saras Gatten kennenzulernen. Höflich verneigte er sich vor dem Marquess, küßte dessen Gemahlin und ihrer Tochter galant die Hand und machte schmeichelhafte Bemerkungen über das hinreißende Aussehen der Damen. Beide strahlten und wünschten einen angenehmen Abend.
Sara war es gewohnt, daß Mikahls gewinnendes Wesen Frauen gefangennahm, und hatte nichts dagegen, zumindest so lange nicht, wie ihr Mann darauf verzichtete, seinen Charme auszunutzen.
Eine unüberschaubare Menschenmenge hatte sich in dem schlichten, von klassischen Säulen im griechischen Stil geprägten weißen Ballsaal eingefunden, dessen einziger Blickfang eine überaus reich bemalte Decke war. Die Herren in formeller schwarzer Abendgarderobe waren ein starker Kontrast zu den in allen Farben schillernden, wogenden Kleidern der Damen. Der Raum war erfüllt vom Lachen und Geplauder der Gäste, von den beschwingten Klängen des Orchesters und vom unterschiedlichsten Duft kostbarer Parfüms.
Mikahl forderte Sara zu einem Walzer auf, und sie genoß die Gelegenheit, solange das Parkett noch nicht restlos überfüllt war. Danach bat ihr Vater sie, eine Weile auf die Gesellschaft des Gatten zu verzichten, da er ihn mit einigen wichtigen Leuten bekannt machen wollte.
Sie nickte und schlenderte zu einer Gruppe von Freunden, behielt die Gäste jedoch sorgsam im Auge, um von der zu erwartenden Begegnung mit Sir Charles Weldon nicht überrascht zu werden.
Charles stand allein vor einem der zum Grosvenor Square gelegenen Fenster und bemerkte den Prinzen von Kafiristan und dessen Gemahlin sofort, als sie den Ballsaal betraten.
Unwillkürlich preßte er die Lippen zusammen. Er war entschlossen, mit dem Prinzen zu sprechen und sich bei ihm für die unflätigen Beleidigungen zu entschuldigen, die er in der Bibliothek von Chapelgate Court geäußert hatte. Der Gedanke, zu Kreuze kriechen zu müssen, war ihm zutiefst verhaßt, aber er hoffte, Seine Hoheit auf diese Weise bewegen zu können, ihm das rüde Verhalten zu vergeben. Vielleicht konnte er ihn dann sogar überreden, ihm die zur Abwendung des drohenden finanziellen Desasters erforderlichen Mittel zu leihen.
Minuten später entspannte sich Charles. William, Viscount Melbourne, war im Saal erschienen. Zwar war er mit dem Premierminister nicht befreundet, aber er hatte die Whigs stets mit großen Geldzuwendungen unterstützt und durfte eines freundlichen Empfanges durch Lord Melbourne sicher sein. Die Gelegenheit nutzend, beschloß Charles, sich bei dem Premier nach dem Stand der Dinge hinsichtlich der Verlei-hung der Baronswürde zu erkundigen, schlenderte auf ihn zu und begrüßte ihn freundlich.
„Nett, Sie zu sehen, Sir Charles“, erwiderte der Viscount. „Mir scheint, in der letzten Zeit sind Sie ein wenig vom Pech verfolgt, nicht wahr? Wie ich höre, sind etliche Prozesse gegen die L & S angestrengt worden.“
Es irritierte Charles, daß die schlechte Nachricht sich so schnell verbreitet hatte. Sich zu einem gelassenen Ton zwingend, machte er eine abfällige Geste und sagte geringschätzig: „Ach, das sind aus der Luft gegriffene Behauptungen eines Verleumders, den der tragische Tod eines seiner Söhne geistig verwirrt hat! Zugegeben, der Preis der Aktien ist gefallen, doch dadurch könnte die Möglichkeit nicht besser sein, günstig zu kaufen.“
„Ich werde es mir merken“, murmelte Lord Melbourne und schaute sich suchend um. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Weldon.“
„Einen Augenblick, bitte“, wandte Charles ein, überlegte kurz, wie er sein Anliegen vortragen sollte, und sagte bedachtsam: „Es geht um die Angelegenheit, die wir im vergangenen Jahre anläßlich Ihres Besuches bei mir besprochen haben. Inzwischen hatte ich mit einem Ergebnis gerechnet. Wissen Sie Näheres, Sir?“
Der Premierminister schüttelte den Kopf und sagte kühl: „Wenden Sie sich brieflich an mein Sekretariat. Ich bin sicher, man kann Ihnen Auskunft geben.“
„Das habe ich bereits getan, Sir“, entgegnete Charles leicht verstimmt. „Dort wurde ich an Sie verwiesen.“
„Ich werde mich der
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