Liebe und Vergeltung
nur das Wohl und Wehe der Dienstboten von ihm ab, sondern vor allem das seiner Gattin und ihrer Familie. Falls Weldon es ihm heimzahlen wollte, daß er durch ihn ins Unglück gestürzt worden war, würde gewiß Sara das Ziel seiner Wut sein. Der Baronet haßte sie, dessen war Mikahl sicher, schon allein deshalb, weil sie ihn betrogen und dadurch unbewußt die Lawine ausgelöst hatte, durch die Sir Charles an den Rand des Abgrundes gerissen worden war.
Ausgerechnet Sara, die nicht ahnte, zu welchen Gemeinheiten Menschen fähig sein konnten! Der Gedanke, was Weldon ihr antun könnte, ließ Mikahl das Blut in den Adern stocken, und jäh wurde ihm klar, daß er die Pläne ändern mußte.
„Besorgen Sie mir Männer, die mit dem Umgang von Waffen vertraut sind“, sagte er hart. „Am besten ehemalige Soldaten und nur Leute, die unbestechlich sind. Sechs oder acht müßten genügen. Ich werde sie als Leibwächter einstellen und gut honorieren.“
„Wie Sie wünschen, Sir“, erwiderte Benjamin Slade, straffte sich und nahm wieder Platz.
Mikahl war sich bewußt, daß er mit dieser Entscheidung noch keine Garantie für Saras Sicherheit hatte. Es war unmöglich, sie in der Bewegungsfreiheit einzuschränken, und vollkommen ausgeschlossen, sie in der Stadt vor seinem Feind zu schützen. Selbst wenn Weldon sie nicht in Mitleidenschaft ziehen konnte, würde er alles daran setzen, einem ihrer Angehörigen oder jemandem aus ihrem Freundeskreis zu schaden, um sie indirekt und über sie auch ihren Gatten zu treffen. Mikahl sah ein, daß er in Zukunft sehr wachsam sein mußte. Viel zu viele Menschen waren möglicherweise von seiner Abrechnung mit Weldon betroffen, und die Gefahr für sie war um so größer, weil er nicht mit offenen Karten spielen konnte. Es gab nur eine Schlußfolgerung, die sich jetzt in aller Deutlichkeit abzeichnete. Mikahl furchte die Stirn und sagte mißmutig: „Ich fürchte, ich werde den Vergeltungsschlag gegen Weldon eher als beabsichtigt führen müssen.“
„Je schneller, desto besser“, stimmte Benjamin Slade ernst zu.
Mikahl seufzte und ließ sich von seinem Handlungsbevollmächtigten ein Resümee der übrigen geschäftlichen Angelegenheiten geben. Nachdem der Anwalt den Vortrag beendet hatte, stand er auf, verabschiedete sich und verließ nachdenklich das Haus.
Benjamin klappte das Portefeuille mit den Akten zu, legte es in die Schreibtischschublade und verschloß sie. Unwillkürlich drängte sich ihm die böse Vorahnung auf, daß Prinz Balagrinis so unerbittlich kalkulierter Plan, Sir Charles Weldon ins Verderben zu stürzen, am Ende vielleicht doch fehlschlagen könnte. Der Baronet war ein gieriges Raubtier, und eine verletzte Bestie konnte, wenn sie in die Enge getrieben war, äußerst gefährlich werden.
Vincent, Marquess of Sanford, war ein sehr vermögender Mann, der großen Einfluß bei den Whigs hatte. Das gesellschaftliche Debüt seiner Tochter Vanessa war daher eines der glanzvollsten Ereignisse der Nachsaison.
„Vermutlich wird auch Sir Charles heute abend anwesend sein“, bemerkte Sara unbehaglich, während die Equipage langsam auf das Portal der Residenz zurollte. „Er ist mit Lettys Gatten verwandt.“
„Dann würde es mich wundern, wenn er nicht eingeladen wäre“, erwiderte Mikahl und schaute auf die lange Reihe der eleganten Kutschen, die sich im Schrittempo auf die drei Einfahrten des Torhauses zubewegten.
Eiserne Gitter mit vergoldeten Spitzen begrenzten das Parterre des langgestreckten, aus grauem Sandstein errichteten Gebäudes, dessen Vorderfront durch eine Fülle von Halbsäulen gegliedert war. Sechs Statuen umrahmten das in den Giebel eingelassene Wappen des Marquess of Sanford, und auf dem dahinter erkennbaren First thronte in einem von vier Rossen gezogenen Streitwagen eine Kriegsgöttin mit erhobenem Speer. Gaslampen tauchten die Fassade in weiches Licht, und sämtliche Räume des Palais’ waren hell erleuchtet.
„Soweit ich das beurteilen kann“, sagte Mikahl und lehnte sich wieder in die Samtpolster des Wagens zurück, „versammelt sich Englands gesamte vornehme Welt bei Lord und Lady Sanford. Wäre es dir denn sehr unangenehm, Weldon zu begegnen?“
„Es wird sich nicht vermeiden lassen, daß unsere Wege sich kreuzen“, antwortete Sara achselzuckend. „Der Kreis von Leuten, der in der Stadt den Ton angibt, ist leider nicht sehr groß. Ob jetzt oder später, irgendwann werden wir aufeinandertreffen. Gewiß, beim ersten Mal werde ich ein Gefühl
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