Liebe und Vergeltung
liebte ihn mehr denn je, war aber dennoch nicht willens, bei ihm zu bleiben, da nichts ihn von der Durchführung seiner rachsüchtigen Pläne abhalten würde. Es war ihr unbegreiflich, daß jemand so wenig Rücksicht auf das Wohl und Wehe Unbeteiligter nehmen konnte. Ihr war klar geworden, daß sie ihn nicht anderen Sinnes machen und deshalb auch nie mehr unbeschwert mit ihm Zusammensein konnte. Sie wußte, daß sie nicht fähig war, ihren Prinzipien untreu zu werden und die Augen vor Unrecht zu verschließen.
Unschlüssig fragte sie sich, ob sie auf einen Moment warten sollte, wenn Michael nicht im Hause war. Aber es würde sie nur quälen, wenn sie den Zeitpunkt der Abreise aus Sulgrave hinauszögerte. Behutsam schob sie Michaels Arm von sich und schlüpfte aus dem Bett.
Michael regte sich im Schlaf und streckte tastend die Hand aus.
Vorsichtig legte sie ihm das Kissen unter den Arm und lächelte flüchtig, als er es an sich drückte. Am liebsten hätte sie ihm einen Kuß gegeben, wagte es jedoch nicht, weil er dann bestimmt aufgewacht wäre. Auf Zehenspitzen huschte sie zu ihrem Ankleidekabinett, blieb stehen und warf einen letzten Blick auf ihn. Sie hatte Michael geheiratet, sich in Liebe mit ihm vereint und würde ihn nun verlieren, ihn wahrscheinlich
nie Wiedersehen.
Leise ging sie in das Nebenzimmer, schloß geräuschlos die Tür und kleidete sich hastig an.
Sie hatte die Morgentoilette kaum beendet, als Jenny plötzlich den Raum betrat und sie entgeistert anschaute.
Rasch legte sie den Zeigefinger auf den Mund und flüsterte: „Ich verlasse Sulgrave. Möchtest du mit mir kommen? Die Entscheidung liegt bei dir.“
„Fahren Sie für einige Tage zum Einkaufen?“ fragte Jenny erstaunt.
„Nein.“
„Wie bitte? Wollen Sie Seine Hoheit verlassen?“
„Ja.“
Jenny wußte nicht, was sie sagen sollte. Die Entscheidung Ihrer Ladyschaft kam viel zu überraschend. „Nun, dann werde ich Sie begleiten, Madam“, murmelte sie verwirrt. „Sie benötigen jemanden, der Ihnen zur Hand geht.“
„Gut“, erwiderte Sara erleichtert. „Dann hilf mir, einige Sachen zu packen. Danach mußt du schnell dein Gepäck richten.“
Jenny knickste und machte sich an die Arbeit.
Sara half ihr und fragte sich unwillkürlich, warum Jenny schon so früh auf den Beinen war. Vielleicht hatte sie die Nacht bei Mr. Slade verbracht. Es war Sara nicht entgangen, daß die beiden sich zärtlich anschauten, wenn sie sich unterhielten.
Die Zofe nahm die beiden vollen Porte Manteaux und brachte sie in die Halle.
Sara verließ das Ankleidekabinett und begab sich in das Zimmer, in dem Alastair untergebracht war. Er schlief, und erleichtert sah sie, daß sein Gesicht Farbe bekommen hatte. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, neigte sie sich über ihn und drückte ihm einen leichten Kuß auf die Stirn. Sie bedauerte, daß sie ihm ihr Fortgehen nicht erklären konnte. Aber sie war sicher, daß Michael die passenden Worte finden würde.
Sacht berührte sie Mrs. Adams, die im Sessel eingeschlafen war, an der Schulter und weckte sie. „Kommen Sie in den Korridor“, flüsterte sie der erstaunten Wirtschafterin zu und erklärte ihr, sobald sie im Gang waren, daß sie nach London fahren und ihr die Verantwortung für den Haushalt übertragen würde. „Da Sie im Augenblick nicht bei meinem Cousin bleiben müssen, bitte ich Sie, zu den Stallungen zu gehen und dafür zu sorgen, daß eine Berline für mich bereitsteht.“
Mrs. Adams war zu verdutzt, um Fragen zu stellen, knickste und kam dem Wunsch Ihrer Ladyschaft nach.
Sara suchte das Arbeitszimmer auf, setzte sich an das Bureau und schrieb Michael einen Brief. Sie versiegelte den Umschlag, kehrte in ihr Ankleidekabinett zurück und stellte ihn gut sichtbar auf den Frisiertisch. Entschlossen verließ sie dann das Haus, in dem sie sich einige Wochen vollkommen glücklich gefühlt hatte.
Fanny hatte die unangenehme Aufgabe, in aller Frühe die Messingbeschläge und den Klopfer der Haustür zu polieren und die zum Portal führenden Stufen zu fegen. Gähnend und unlustig kam sie der Aufgabe nach, stapfte mißmutig zum Dienstboteneingang und machte die Tür auf.
Sie mußte ziemlich drücken, um sie ganz öffnen zu können, da irgend etwas den Weg versperrte. Verwundert drängte sie sich durch den Spalt und blickte auf ein längliches Bündel. Im ersten Moment wußte sie nicht, was sie davon halten sollte, und fragte sich verblüfft, warum jemand einen zusammengerollten Teppich hier
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