Liebe und Vergeltung
befürchtete, Weldon könnte das Haus angegriffen haben. Zum Kamin wankend, ergriff er den Schürhaken und schaute sich nach seinen Sachen um. Da er sie nirgends sah und auch keinen Morgenmantel fand, stolperte er, nur mit langen Unterhosen bekleidet, in den Korridor und versuchte, sich zu orientieren, woher der Krach kam.
Es klang, als wütete ein Kampf in einem der am Ende des Ganges gelegenen Räume. Behutsam tappte er durch den
Flur, drückte mißtrauisch die Tür auf und erstarrte auf der Schwelle.
Michael mußte den Verstand verloren haben. Saras Gewänder lagen auf dem Fußboden verstreut; die Scherben zerschellter Flakons glitzerten in der Sonne, und mitten in dem Durcheinander befanden sich die Reste eines zertrümmerten Sessels. Im gleichen Moment hob Michael einen Schemel hoch und schleuderte ihn mit aller Kraft in den Wandspiegel, der splitternd barst.
Unwillkürlich faßte Alastair den Schürhaken fester und rief in die jäh einsetzende Stille: „Zum Teufel, was soll das?“ Michael drehte sich um, bereit, sich gegen jeden Angreifer zu verteidigen, und starrte den Freund an. Langsam begriff er, daß er Alastair vor sich hatte, dämpfte seine Wut und sagte keuchend: „Sara hat mich verlassen!“
Alastair meinte, sich verhört zu haben. Mit dieser Erklärung hatte er nicht gerechnet. „Warum?“ fragte er verblüfft, ließ den Schürhaken fallen und lehnte sich an den Türrahmen.
„Weil sie meint, ich sei ein Unmensch!“ antwortete Michael schroff. „Sie warf mir vor, ich würde bedenkenlos Unbeteiligte unter meiner Vergeltungssucht leiden lassen.“
Alastair überlegte, ob Michael sich nach den nächsten Worten auf ihn stürzen oder vielleicht zur Besinnung kommen würde. „So unrecht hat Sara nicht“, erwiderte er ruhig.
Michael atmete tief durch und zwang sich, nicht noch einmal die Beherrschung zu verlieren. „Verdammt, warum bist du überhaupt aufgestanden?“ brummte er ungehalten.
„Ich dachte, Weldon habe Sulgrave mit einer ganzen Armee überfallen“, sagte Alastair und lächelte schwach.
„Noch nicht“, erwiderte Michael trocken. „Ich glaube, zur Zeit grübelt er darüber nach, wie sein nächster Schachzug auszusehen hat. Du bist von seinem Sekretär angeschossen worden. Allerdings muß Kane jetzt einem anderen Herrn Rede und Antwort stehen.“
„Warum? Was ist geschehen?“
„Kane wollte uns beide erschießen“, antwortete Michael grimmig. „Aber ich hatte meinen Dolch und war schneller. Inzwischen dürfte man seine Leiche in Weldons Haus gefunden haben. Ich habe sie heute nacht zum Dienstboteneingang gebracht und dort deponiert.“
Alastair fröstelte. Die Sache nahm wirklich abscheuliche Formen an. „Und wie geht es nun weiter?“ fragte er kopfschüttelnd.
„Ich weiß es nicht“, sagte Michael und strich sich müde über das Haar.
„Nun, dann laß dir schnell etwas einfallen“, riet ihm Alastair. „Meinst du, Sara ist in Sicherheit, falls sie sich in der Stadt aufhalten sollte?“
„Ich werde mich erkundigen, ob einer der Leibwächter mit ihr gefahren ist.“
„Das ist ein guter Gedanke“, stimmte Alastair zu und merkte, daß ihm die Knie schwach wurden. „Und jetzt sei so gut und hilf mir in mein Zimmer zurück, ehe ich Bekanntschaft mit dem Fußboden mache.“
Mit wenigen Schritten war Michael bei Saras Cousin und fing ihn auf.
„Oh, verflucht!“ murmelte Alastair und verzog gequält das Gesicht, als ein scharfer Schmerz durch die Schulter zuckte.
„Es war dumm von dir, das Bett zu verlassen!“ schimpfte Michael, legte sich den Arm des Freundes um den Hals und stützte ihn, bis sie im Krankenzimmer waren. Sacht half er Alastair, sich zu setzen, und untersuchte besorgt den Verband. „Glücklicherweise scheint die Wunde sich nicht geöffnet zu haben“, stellte er beruhigt fest. „Jedenfalls sehe ich kein frisches Blut. Versprichst du mir liegenzubleiben, bis du kräftig genug zum Aufstehen bist?“
„Mit Vergnügen“, antwortete Alastair und wischte sich den Schweiß von der Stirn. „Vorausgesetzt, Weldon nimmt Sulgrave nicht unter Beschuß.“
„Das steht kaum zu befürchten.“ Michael breitete die Decke über Alastair aus, schaute ihn leicht belustigt an und sagte lächelnd: „Wie gut, daß du so lädiert bist! Sonst hätte ich bestimmt mit einer harschen Moralpredigt oder gar mit einer handgreiflichen Auseinandersetzung rechnen müssen.“
„Ich habe dich in gesundem Zustand nicht besiegen können und würde es in der
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