Liebe und Vergeltung
im Empfangssalon den Baronet vor.
Sir Charles sah sehr zufrieden aus, schien von seinem nächtlichen Erlebnis erschöpft und sprach nur wenig auf der Fahrt zum Clarendon Hotel. Er verabschiedete sich höflich und gab der Hoffnung Ausdruck, Seine Hoheit möge ihm bald die Entscheidung über eine Beteiligung an der Eisenbahngesellschaft mitteilen.
Mikahl versprach es, begab sich in seine Suite und schrieb alle ihm wichtig erscheinenden Einzelheiten des Abends auf. Die Namen und Adressen würden Benjamin Slade bei den Nachforschungen sehr dienlich sein.
6. KAPITEL
Sara war froh, daß es sich bei Lady Farnboroughs Ball nur um ein Fest in kleinerem Rahmen handelte. Nachdem Sir Charles und sie die Gastgeberin begrüßt und einige Worte mit dem in Lord Alastair Carlisles Begleitung erschienenen Prinzen Balagrini sowie mehreren Bekannten gewechselt hatten, nahmen sie in einem ruhigen Winkel des Saales Platz und beobachteten die Gäste.
„Wenn du gestattest“, sagte der Baronet nach einigen Minuten, „würde ich mich gern für ein Weilchen in das Spielzimmer begeben.“
„Ja, geh nur und amüsiere dich“, willigte Lady Sara ein. „Falls ich mich langweilen sollte, finde ich bestimmt jemanden, der mir Gesellschaft leistet.“
„Wie verständnisvoll du bist“, erwiderte Sir Charles, ergriff ihre Hand und drückte sie besitzergreifend. „Ich bin der glücklichste aller Männer. Du wirst mir eine ideale Gattin sein.“ Er stand auf, verneigte sich und schlenderte davon.
Erfreut über das Kompliment, schaute sie ihm nach und fand, daß er in formeller Abendkleidung eine wirklich gute Figur machte. Langsam ließ sie den Blick über die Paare auf dem Parkett schweifen, wedelte sich mit einem bemalten Elfenbeinfächer Kühlung zu und dachte an ihre erste Londoner Saison. Es war wundervoll gewesen, in die Welt der Erwachsenen einzutreten und als ihresgleichen betrachtet zu werden. Sie hatte die mit Festlichkeiten angefüllten Monate genossen und genauso gelacht und kokettiert wie die jungen Damen, die sich jetzt dort auf der Tanzfläche drehten. Heute jedoch schien diese Zeit eine Ewigkeit zurückzuliegen.
Am anderen Ende des Raumes bemerkte Sara den Prinzen Balagrini im Gespräch mit ihrem Cousin. Aufmerksam be-trachtete sie Seine Hoheit und kam zu der Erkenntnis, daß er niemanden mehr benötigte, der ihn protegierte. Er bewegte sich mit der größten Selbstverständlichkeit im ton und wurde, zumindest auf gesellschaftlichem Parkett, von allen akzeptiert. Jeder bemühte sich, ihn einzuladen, und rasch war er überall Mittelpunkt des Abends. Auch jetzt umstanden ihn drei hübsche Damen, die hingebungsvoll seinen Worten lauschten.
Sara klappte den Fächer zu, erhob sich und schlenderte durch die geöffneten Türen des Ballsaales ins Freie. Auf dem Altan atmete sie tief durch und genoß den aus dem Garten heraufwehenden Duft der Blumen. Ein wenig wehmütig beobachtete sie die Paare, die zu den Klängen des Orchesters über die Tanzfläche schwebten. Aber es hatte wenig Sinn, auf diese Menschen neidisch zu sein. Es gab Wichtigeres, mit dem sie sich zu befassen hatte. Die Last der Vorbereitungen für die Hochzeit würde größtenteils auf ihren Schultern ruhen, auch wenn Alastairs Mutter sich gewiß zu helfen bereit fand.
Langsam drehte sie sich um und schaute zum Himmel empor. Die Nacht war sternenklar, und der volle Mond tauchte alles in ein silbriges Licht.
„Ist es schicklich, sich bei einem Ball zu entfernen?“
Jäh zuckte sie zusammen, wandte sich hastig um und sah sich dem Prinzen gegenüber. „Es ist kein Verstoß gegen die guten Sitten, Hoheit, ein wenig frische Luft zu schnappen. Es gehört sich jedoch nicht, andere Gäste zu Tode zu erschrek-ken“, antwortete sie vorwurfsvoll. „Sie könnten einer Katze beibringen, wie man sich möglichst leise an das Opfer heranschleicht!“
„Nein, ich habe es von einer Katze gelernt“, erwiderte Mikahl belustigt. „Von einem Schneeleoparden, um genau zu sein.“
Sara fand den Prinzen äußerst attraktiv. Der taillierte, fast knielange schwarze Abendfrack brachte die breiten Schultern vorteilhaft zur Geltung, und die schmalen Pantalons betonten die langen Beine. Eine unwiderstehliche Anziehungskraft ging von Prinz Balagrini aus, und Sara hatte Mühe, sich nicht zu sehr von ihr einfangen zu lassen. „Wer hat sich an wen herangepirscht?“ fragte sie in bewußt leichtem Ton. „Der Leopard sich an Sie, oder umgekehrt?“
„Wir haben uns gegenseitig
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