Liebe und Vergeltung
nicht, daß sie getäuscht werden, besonders dann nicht, wenn man sich sträubt und laut genug weint.“
„Wie hat man dich hergebracht? Bist du deinen Eltern geraubt worden?“
„Nein. Meist ist das nicht nötig, da man Mädchen der Familie für wenig Geld abkaufen kann. Manchmal kommt es allerdings vor, daß sie von der Straße entführt werden. Mein Vater hat mich für fünf Pfund weggegeben. Mrs. Bancroft erwähnte, es wäre die höchste Summe, die sie je gezahlt hätte. Sie hat es nur gemacht, weil sie mich hübsch fand und meinte, sie könnte mich lange Zeit einsetzen.“
„Sind die anderen, die hier arbeiten, auch nur vorgebliche Jungfrauen?“
„Nein, nur zwei.“ Jenny entspannte sich langsam und wurde gesprächiger. „Die übrigen sind Mädchen, die nur einmal herkommen und eine Guinea erhalten. Sie tun es freiwillig, es sei denn, die Eltern haben sie dazu gezwungen. Es gibt Gentlemen, die nicht mehr potent sind und glauben, der Verkehr mit einem noch unschuldigen Mädchen könne ihnen die Manneskraft zurückgeben. Deshalb wollen sie ständig ein neues haben. Mrs. Bancroft behauptet, es sei schlecht für das Geschäft, wenn die Stammkunden nicht zum Zuge kämen. Hin und wieder schickt sie mir Klienten, die eine kindlich aussehende Gespielin haben wollen, die dennoch nicht unerfahren sein darf. Der Verkehr mit diesen Männern ist anstrengender, als wenn ich die Jungfrau mimen muß.“
„Wie lange bist du schon in diesem Bordell?“
„Jahre“, antwortete Jenny achselzuckend. „Vielleicht drei oder vier. Mrs. Bancroft führt Buch über jeden Besucher, damit sichergestellt ist, daß ihm eine von uns nicht zweimal angeboten wird. Einmal ist ihr ein Fehler unterlaufen, und der Herr hat einen fürchterlichen Aufstand gemacht. Es dauerte lange, bis sie ihn davon überzeugt hatte, ich sei meine jüngere Schwester.“
Im angegebenen Zeitraum mußte Mrs. Bancroft durch Jennifer ein Vermögen verdient haben. „Wie alt bist du eigentlich?“ wollte Mikahl stirnrunzelnd wissen.
„Siebzehn, nehme ich an. Höchstens achtzehn.“
„Wirklich? Du siehst entschieden jünger aus.“
„Deshalb bin ich für Mrs. Bancroft ja auch so wertvoll“, erwiderte Jenny verbittert. „Es wird nur immer schwieriger, den Eindruck eines Kindes zu erwecken, selbst mit solchen Kleidern wie dem, das ich jetzt trage. Ich fürchte, man wird mich bald in ein anderes Bordell schicken, wo ich an einem Abend mehr Männern zu Willen sein muß als jetzt in einer Woche. Davor graust mir.“
Mikahl preßte die Lippen zusammen. Die Befürchtungen waren nicht grundlos. Die sich unter dem Kleid abzeichnenden Formen waren wohlgerundet und nicht mehr die eines heranwachsenden Mädchens. Auch wenn Jane Miller in anderen Häusern mehr einnehmen konnte und sich nach einer gewissen Zeit einem respektableren Leben zuwenden würde, wie so viele Dirnen es taten, sah sie zunächst einer trüben Zukunft entgegen. „Würde Mrs. Bancroft dich gehen lassen, wenn du nicht mehr bleiben willst?“ fragte er ernst.
„Ausgeschlossen, Sir! Ich wüßte auch gar nicht, wohin ich sollte, nicht einmal dann, wenn ich fliehen könnte. Nach Hause will ich nicht. Mein Vater hat sich nur deshalb nicht an mir vergriffen, weil er wußte, daß ich unberührt viel mehr Geld wert bin. Und in Anstellung zu gehen, kann furchtbar sein. Meine ältere Schwester war Hausmädchen, arbeitete täglich fünfzehn Stunden und mußte jeden Mann ertragen, der etwas von ihr wollte. Bei dem Versuch, sich eines unerwünschten Kindes zu entledigen, ist sie dann gestorben.“
Mikahl entnahm den Worten, daß Jane Miller längst und vor allem sehr nüchtern darüber nachgedacht hatte, wie sie dem bisherigen Gewerbe entrinnen könnte. „Was würdest du tun, wenn du die freie Wahl hättest?“ fragte er und schaute sie aufmerksam an.
Ein sehnsüchtiger Ausdruck erschien in ihren blauen Augen. „Ich wollte immer die Zofe einer feinen Dame sein“, antwortete sie lebhaft. „Es macht Spaß, mit schönen Dingen umzugehen, und außerdem gilt man etwas bei den anderen Dienstboten. Am liebsten würde ich für eine junge und elegante Lady tätig sein, die mir ihre abgelegten Kleider schenkt.“ Jenny seufzte und fügte leise hinzu: „Vielleicht hätte ich eines Tages dann die Möglichkeit, einen gutaussehenden Lakaien zu heiraten. Einen, der nicht so trinkt wie Vater. Warum wollen Sie das alles wissen, Sir? Möchten Sie, daß ich Ihre Geliebte werde? Ich würde Sie bestimmt
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