Liebe und Vergeltung
haben recht“, pflichtete sie ihm bei. „Trotzdem flößen Sie mir Unbehagen ein, Sir.“
Verblüfft schaute er sie an. „Warum sagen Sie das?“
„Sie sind imstande, das Leben anderer Menschen zu beeinflussen, auf sehr mühelose und bestürzend schnelle Weise. Sie sind auf dem besten Wege, meines zu verändern.“
„Unser ganzes Dasein ist eine einzige kontinuierliche Veränderung“, entgegnete er achselzuckend. „Bei dem einen geht sie rascher vor sich, bei dem anderen langsamer. Sie werden bald heiraten, Madam, und das bedeutet einen großen Einschnitt in Ihrem Leben.“
Sara nickte schweigend. Sie hatte keine Ahnung, was die Zukunft bringen mochte, aber vom Gestern würde das Morgen sich ganz sicher sehr unterscheiden.
„Ich habe gehört, daß Damen den Fächer benutzen, um Herren auf diskrete Weise etwas zu verstehen zu geben“, bemerkte Prinz Balagrini plötzlich.
„Ja, das stimmt“, bestätigte Lady Sara. „Heutzutage gibt es natürlich sehr viel einfachere Methoden, jemandem eine Nachricht zu übermitteln, aber es könnte sein, daß Sie in eine Situation kommen, wo Sie die Fächersprache kennen sollten. Sie soll ihren Ursprung in Spanien haben, wo Männer und Frauen einst einem sehr strengen Sittenkodex unterlagen. Aber man teilt sich nicht nur durch eine bestimmte Handhabung des Fächers mit. Man spricht auch mit den Augen und der ganzen Körperhaltung. Ich werde versuchen, mich an die einzelnen Möglichkeiten zu erinnern.“
Sara klappte den seidenen, mit Schäferszenen bemalten Brise auseinander, legte ihn seitlich an die rechte Wange und sagte: „Das bedeutet ,Nein‘. Und wenn man ihn links an das Gesicht hält, heißt es ,Ja‘.“ Dann führte sie ihn an den Augen vorbei und warf dem Prinzen gleichzeitig einen bedauernden Blick zu. „Und das besagt, daß man sich entschuldigen will.“ Mikahl lächelte leicht und fragte neugierig: „Lassen sich mit dem Fächer auch andere, kompliziertere Dinge ausdrük-ken?“
Sara war froh, daß sie aufstehen und Prinz Balagrinis beunruhigender Nähe entrinnen konnte. Den Brise in der Linken haltend, entfernte sie sich ein wenig von der Bank und erklärte: „Damit will ich andeuten, daß ich durchaus an einer Bekanntschaft interessiert bin.“
„So kommen wir einen Schritt weiter“, stellte Mikahl zufrieden fest. „Und welches wäre der nächste, da wir uns ja bereits kennen?“
Sara drehte sich um, nahm den Fächer in die Rechte und hob ihn vor das Gesicht. „Das bedeutet: ,Folgen Sie mir!“ Sie wandte sich ab, schlenderte über den Altan und warf einen kurzen Blick über die Schulter zurück, ob der Prinz begriffen hatte.
Gehorsam stand er auf und ging ihr nach.
„Und damit will ich Sie wissen lassen, daß Sie auf mich warten sollen.“ Sie blieb stehen, klappte den Stabfächer voll auf und schaute Prinz Balagrini eindringlich über das Blatt an.
„Worauf soll ich warten?“ erkundigte er sich verdutzt und verharrte auf der Stelle.
Sara strich den Spitzensaum des Brise leicht über die Stirn und antwortete in warnendem Ton: „Wir werden beobachtet.“
Mikahl sah zum Ballsaal hinüber. Niemand stand an den Türen und blickte auf den dunklen Balkon. „Glücklicherweise irren Sie sich, Madam“, entgegnete er leise. „Und was läßt sich mit dem Fächer sagen, wenn eine Dame und ihr Kavalier endlich allein sind? Oder müssen sie dann auf Worte zurückgreifen?“
„Manche Frauen sind zu schüchtern oder zu sittsam, um ihre Wünsche laut zu äußern“, antwortete Sara, klappte den Brise zu und drückte flüchtig den Griff an den Mund. „Dann ist das die Aufforderung zum Kuß“, fügte sie kokett hinzu und war selbst über ihre Unverfrorenheit überrascht. Sie glaubte nicht, daß Prinz Balagrini den Wink verstanden hatte, und wartete mit bang klopfendem Herzen, was geschehen würde. Noch hätte sie dem Spiel Einhalt gebieten können, doch die Stimme der Vernunft wurde übertönt von dem Verlangen, den Prinzen zu küssen.
Er kam zu ihr, schaute sie einen Moment forschend an und zog sie dann an sich. Es war ein zarter Kuß, eine weiche Berührung der Lippen, die viele Wünsche weckte und alle Erfüllung verhieß.
Sara wollte sie kosten, die nur angedeuteten Wonnen, begierig und rückhaltlos. Sie erwiderte den Kuß voller Sehnsucht und Hingabe und erschrak dennoch, als der Prinz sich stürmi-scher und besitzergreifender nahm, was sie ihm unbedenklich bot. Hastig entzog sie sich ihm und sagte etwas erschrocken: „Und wenn ich
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