Liebe und Vergeltung
Lord Haddonfield und Weldon zu uns.“
„Du willst Sara jetzt, mitten beim Ball, mit den Anschuldigungen gegen Sir Charles konfrontieren?“ fragte Alastair stirnrunzelnd.
„Wie typisch für euch Engländer, sich vor einer unliebsamen Szene zu fürchten!“ erwiderte Mikahl kopfschüttelnd. „Einer der Gründe, warum ich den heutigen Abend gewählt habe, ist ja der Umstand, daß das Haus voller Gäste ist. Alle Beteiligten werden sehr darauf achten, sich nichts anmerken zu lassen. Das finde ich weitaus angenehmer. Im übrigen ist es mir lieb, die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter mich zu bringen.“
„In diesem Punkt bin ich deiner Meinung. Also gut, ich gebe dir eine halbe Stunde. In der Bibliothek wirst du mit Sara sicher ungestört sein. Ich hoffe nur, du weißt, was du tust“, fügte Alastair ernst hinzu.
„Ja“, bestätigte Mikahl knapp, lächelte flüchtig und machte sich auf die Suche nach Lady Sara St. James.
Nach einigen Minuten hatte er sie entdeckt. Sie schlenderte am Rande des Parketts entlang und sah bezaubernd aus. Die Balltoilette aus bernsteinfarbener Seide erlaubte einen faszinierenden Blick auf das schulterfreie Dekollete. Gelbe Rosen schmückten den Ansatz der breiten Ballonärmel, und eine Rosenapplikation hielt den am rechten Knie doppelt gerafften Rock. Die dunkelroten, von einem schillernden Perlmuttkamm gehaltenen Haare waren hochgesteckt, ringelten sich hinter den Ohren und fielen Lady Sara in entzückenden kleinen Löckchen in die Stirn. Ihre Wangen waren zart gerötet, und die hellbraunen Augen glänzten. Rasch ging Mikahl auf Lady Sara zu und verstellte ihr den Weg.
Überrascht, sich unvermittelt dem Prinzen von Kafiristan gegenüberzusehen, blieb sie stehen und schaute ihn verwirrt an.
Unwillkürlich erregte ihn ihr Anblick, doch er zwang sich, gelassen zu sagen: „Madam, ich möchte Sie um ein Gespräch ersuchen. Unter vier Augen.“
„Wie bitte?“ fragte sie mißtrauisch.
„Ich bitte Sie nicht aus einer Laune um diese Gunst“, erklärte Mikahl ruhig. „Die Angelegenheit ist ernster Natur. Ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen.“
Abwägend musterte Lady Sara ihn einen Moment und willigte dann kühl ein: „Gut. Gehen wir auf den Altan.“
„Die Bibliothek ist geeigneter“, widersprach Mikahl. „Was ich Ihnen zu sagen habe, ist nicht für fremde Ohren bestimmt.“
Sara hatte sich geschworen, nie wieder mit Prinz Balagrini allein zu sein, doch seine Augen schauten sie so bezwingend an, daß sie innerlich nachgab. Zudem war sie neugierig und wollte wissen, was es war, das solche Geheimniskrämerei erforderte. Der Prinz nahm sie beim Arm, und wider Willen zuckte sie leicht zusammen. Selbst diese bedeutungslose Berührung erinnerte sie daran, warum sie sich vorgenommen hatte, Distanz zu ihm zu wahren. Da er ihr angesichts der vielen Gäste nicht zu nahe treten konnte, ließ sie ihn gewähren und begab sich mit ihm in die Bibliothek.
Er schloß die Tür, und das Lachen und die Musik drangen nur noch gedämpft aus dem Ballsaal herüber. „Sie sollten sich setzen, Madam“, empfahl ihr Mikahl. „Ich bin sicher, Sie werden eine unerfreuliche Überraschung erleben.“
Unbehaglich ließ Sara sich in der Ecke eines mit geblümtem Damast bezogenen Sofas nieder, legte die Hände in den Schoß und fragte steif: „Worum geht es, Sir?“
Mikahl näherte sich ihr bis auf wenige Schritte, blieb stehen und sah sie eine Weile schweigend an.
Sein düsterer, grüblerischer Blick gab ihr das ungute Gefühl, daß er tatsächlich etwas von schwerwiegender Bedeutung auf dem Herzen haben mußte. Da sie sich nicht denken konnte, was es sein mochte, und er sich nicht äußerte, wurde sie ungeduldig und sagte leicht gereizt: „Kommen Sie zur Sache, Sir! Ich kann mich nicht zu lange von den Gästen fernhalten. Schließlich wird der Ball mir zu Ehren veranstaltet.“
„Ich möchte Sie bitten, mir jetzt so unbefangen wie möglich zuzuhören“, erwiderte Prinz Balagrini ruhig. „Ich weiß, Sie werden mir nicht glauben wollen, aber ich sehe mich gezwungen, Ihnen mitzuteilen, daß Sie Sir Charles Weldon nicht heiraten dürfen. Er ist durch und durch verkommen und auf eine Weise korrupt, die Sie sich nicht vorstellen können.“
Sara war so sprachlos, daß sie den Prinzen mit offenem Mund anstarrte. Mit dieser Nachricht hatte sie nicht gerechnet. „Lächerlich!“ entgegnete sie entrüstet, nachdem sie sich etwas von dem Schock erholt hatte. „Sie erwarten doch
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