Liebe und Vergeltung
erwiderte
Mikahl ernst. „Sie sind kein oberflächlicher Mensch und fähig, den Dingen auf den Grund zu gehen. Das mag eine belastende Gabe sein, aber durch sie wird das Dasein erst interessant.“
Sara richtete sich auf, setzte langsam den Weg über die Brücke fort und dachte darüber nach, was sie von Prinz Balagrini erwarten konnte. Nur eitel Wonne und Sonnenschein an seiner Seite würde ihr gewiß nicht beschieden sein, auch wenn er sich bemühte, sie davon zu überzeugen. Niemand konnte einem anderen zusichern, daß sie beide bis in alle Ewigkeit glücklich sein würden. Ihr hätte genügt, wenn er zeigen würde, daß er echte Zuneigung für sie empfand. Dann hätte eine Ehe vielleicht eine gute Grundlage gehabt. Sara ging auf den Irrgarten zu und fragte neugierig: „Sind Sie je in einem Labyrinth gewesen, Sir? Dieses ist mindestens zweihundert Jahre alt.“
„Nein, ich hatte noch nie das Vergnügen. Gehen wir hinein?“
Sara nickte und schlenderte durch den in die Buchsbaumhecke geschnittenen halbrunden Eingang.
Mikahl fand es an der Zeit, endlich die Frage zu stellen, die immer noch unausgesprochen zwischen ihnen hing. „Lady Sara, warten Sie bitte einen Moment“, bat er sie. „Wir wandern nun schon eine ganze Weile ziellos durch den Park. Ehe wir weitergehen, möchte ich wissen, ob Sie meine Gattin werden wollen.“
Sara blickte sich um, lächelte den Prinzen an und lief, die Röcke raffend, um die Biegung der Hecke. Sie kannte sich gut in dem Irrgarten aus, da sie und Alastair als Kinder hier oft Verstecken gespielt hatten. Im Nu war sie in dem Gewirr der Gänge verschwunden und erreichte den Mittelpunkt, eine ovale Lichtung, an deren einer Seite eine niedrige künstliche Felsengrotte mit Statuen und zwei marmornen Ruhebänken stand. Sie setzte sich und fragte sich, wie lange es dauern mochte, bis Seine Hoheit sie fand.
Mikahl hatte einige Mühe, Lady Sara zu folgen, irrte an den hohen Buchsbaumhecken entlang und entdeckte plötzlich eine Öffnung, durch die ein Tuffsteingewölbe zu sehen war. Er trat durch den Bogen und sah Lady Sara, die sich auf einer Bank niedergelassen hatte. Rasch näherte er sich ihr, blieb vor ihr stehen und sagte, sie eindringlich anschauend: „Noch bist du mir die Antwort schuldig, Sara!“
„Warum sollte ich Sie heiraten, Sir?“ fragte sie, blickte ihn einen Moment ernst an und stand dann auf. Die Finger verschränkend, wandte sie sich leicht ab und betrachtete die Skulptur des Herkules im Hintergrund der Grotte. „Sie sind mir in so vielem ein Fremder“, fuhr sie in leisem Ton fort. „Ich kenne Sie ja kaum. Vielleicht haben Sie bereits in Kafiristan eine Gattin, oder sogar ein halbes Dutzend Frauen. Woher soll ich wissen, in welchen Städten des Orientes eine Geliebte auf Sie wartet?“
„Nein, Sara“, entgegnete Mikahl spröde. „Ich habe nie geheiratet und bis gestern nicht einmal daran gedacht. Gewiß, es gab zahlreiche Frauen in meinem Leben. Du bist jedoch die einzige, die mit Fug und Recht Ansprüche an mich stellen kann.“
Sara drehte sich zu Prinz Balagrini um, krauste die Stirn und erwiderte irritiert: „Ach, Sie fühlen sich also nur verpflichtet, um meine Hand anzuhalten, weil Sie wissen, daß Sie meinen Ruf ruiniert haben?“
„Manchmal ist es für mich recht vorteilhaft, und für andere auch, daß ich mir den europäischen Sittenkodex nicht in allen Punkten zu eigen gemacht habe. Ich würde niemals nur aus Pflichtbewußtsein heiraten. Nein, Sara, ich finde Gefallen an dem Gedanken, mit dir vermählt zu sein.“
Dieses Eingeständnis beruhigte sie etwas. Doch es gab weitere Probleme, die sie geklärt wissen wollte. „Bis jetzt bin ich nicht darüber informiert, welcher Art Ihre religiöse Weltanschauung ist“, sagte sie bedächtig, „oder ob Sie überhaupt an irgend etwas glauben. Ich gehöre der anglikanischen Kirche an und möchte nach unserem Ritus getraut werden. Wäre das ein Hindernisgrund?“
„Nein“, antwortete Mikahl leicht belustigt. „Meine religiösen Gefühle würden durch eine solche Zeremonie nicht verletzt. Ich habe dir ja bereits einmal erklärt, daß die Kafiren Ungläubige sind. Im Laufe meines Lebens habe ich einige Kenntnis der unterschiedlichsten Konfessionen erworben und bin in der Lage, mich über Buddhismus, Taoismus und Hinduismus zu unterhalten. Auch die Auffassungen christlicher Religionen und des Judentums sind mir nicht fremd.
Zweimal bin ich gezwungenermaßen Mohammedaner geworden, als mir in einer
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