Liebe und Völkermord
des Dorfes, und schlenderten dort entlang. Hier konnten sie ungestört reden.
„Uns steht eine harte Zeit bevor. Wir müssen bald einige wichtige Entscheidungen fällen“, sprach der Abuna und schaute dabei nur geradeaus vor sich hin.
„ Was für Entscheidungen meint Ihr, Abuna?“
„ Wir werden unsere Häuser verlassen müssen.“
Isa blieb erstarrt stehen. Der Abuna schlenderte weiter.
„Warum müssen wir unsere Häuser verlassen? Glaubt Ihr, sie kommen wieder?“
„ Nein, sie werden nicht zurückkommen.“
Isa schaute immer noch verwirrt. Er holte den Abuna ein und schlenderte weiter an seiner Seite.
„Sie wollen unser Volk auslöschen. Sie werden jedes Dorf dem Erdboden gleichmachen. Unsere Schwestern und Brüder brauchen unsere Hilfe. Sie werden fliehen. Sie werden nur zu einem einzigen Ort fliehen können, wo sie sich sicher fühlen können.“
„ Die Klöster.“
„ Ja. Aber nicht Sankt-Gabriel, auch nicht Sankt-Malke oder ein anderes, es kommt nur das Sankt-Dominikus-Kloster von Iwardo infrage.“
Isa nickte. „So ist es. Es liegt auf einem hohen Hügel und ist so groß, tausende Menschen finden darin Unterschlupf.“
„Diese Moslems machen einen Fehler, sie stürzen sich auf uns, auf die Beute, ohne irgendeinen Plan, ohne irgendeine Strategie. Das ist unsere Gelegenheit, zurückzuschlagen. Nirgendwo sonst außer in Iwardo werden wir sie wirksam schlagen können. Wir müssen unseren Brüdern im Kampf beistehen. Nun haben wir ein Problem, wir können das Dorf nicht menschenleer zurücklassen. Einige von uns müssen hier bleiben.“
„ Versagt es mir bitte nicht, Abuna. Ich und meine Söhne stehen bereit. Wir werden nach Iwardo gehen.“
„ Die anderen Familien werden sich auch in der Pflicht fühlen, wenn du und deine Söhne geht. Das ist das Problem. Ich fürchte, es wird zum Streit kommen und ich werde nicht Herr der Lage sein.“
„ Ich verstehe Eure Bedenken, Abuna. Dann wird es das Beste sein, wenn wir die Mönche des Klosters d'Ghsale hinzuziehen.“
Abuna Isa hielt inne. Er schaute immer noch geradeaus in die Ferne. Er nickte. „Ja, daran habe ich auch schon gedacht. Wenn du auch dieser Meinung bist, dann machen wir es so. Das wird das Beste sein.“
Isa war sich sicher, Abuna Isa würde nach Iwardo ziehen und dort mitkämpfen. Er hatte Kampferfahrung und war ein zu guter Soldat, sie hätten ihn nicht entbehren können. Dem Pfarrer gingen viele Erinnerungen durch den Kopf. Er sah wieder die schrecklichen Bilder der Massakrierten von vor 20 Jahren vor seinen Augen. Auch damals war eine Armee der Moslems gekommen, um sie auszulöschen. Damals hatte sich diese muslimische Armee nach einigen Tagen zurückgezogen. Würden sich die Muslime dieses Mal zurückziehen? Er hatte eine schreckliche Vorahnung, er dachte, dieses Mal seien sie gekommen, um ihr unvollendetes Werk von damals zu vollenden. Je länger er über sein Volk und sein Schicksal nachdachte, umso schwächer wurde sein Herz. Sein Herz schlug während der Schlacht gegen die Türken so schnell wie noch nie und nach der Schlacht hatte er sich mehrere Stunden lang nicht ausgeruht. Er ließ sich jedoch nichts von seiner körperlichen Schwäche anmerken. Wäre er zu diesem Zeitpunkt krank geworden oder sogar gestorben, das Dorf hätte seinen Überlebenswillen verloren. So blieb er standhaft. Nur in den Momenten, wo er allein in seinem Haus war, bei seiner Frau, fasste er sich an die linke Brust und trank schmerzvoll seinen Tee. Das war vor etwa einer halben Stunde gewesen, bevor er aufgebrochen war, um Isa zu besuchen.
„ Vor 20 Jahren war es eine Armee von kurdischen Banditen. Heute ist es eine gut ausgerüstete türkische Armee von Berufssoldaten gewesen. Jetzt verstehe ich es. Jetzt verstehe ich Eure Bedenken. Die osmanische Regierung will uns offenbar auslöschen. Nun ist es also soweit. Gott verfluche diesen Sultan!“
„ Nicht der Sultan ist der Auftraggeber diesmal. Die Türken fürchten eine Niederlage und einen Einfall in ihr Land durch die Europäer. Es ist wohl ein Verzweiflungsakt.“
„ Es ist unser Land! Es gehört uns seit Urzeiten!“
Der Abuna verzog seine Miene und trat näher an Isa heran. Isa schaute ihn verwundert an.
„Es gibt da etwas, was ich dir anvertrauen muss. Es plagt mein Gewissen schon seit geraumer Zeit.“
„ Ich werde Euch helfen, so gut ich kann.“
„ Es geht um deinen Sohn Matthias.“
„ Was hat er wieder angestellt?“
„ Nichts. Es ist eher anders herum, ihm wurde
Weitere Kostenlose Bücher