Liebe und Völkermord
Unrecht angetan.“
Matthias' Vater runzelte die Stirn. In der Tat hatte er seit Beginn der Schlacht gar nicht mehr an seinen kleinwüchsigen Sohn gedacht. Auch jetzt noch hielt er jeden Gedanken an ihn für Zeitverschwendung.
„Er hatte einen Hund, den er sehr mochte. Er ist tot. Er wurde erschossen. Er sah so traurig aus, als er zu mir kam und mich fragte, ob ich wisse, wer dem Tier dies angetan habe. Ich aber konnte es ihm nicht sagen.“
Isa schaute ihn immer noch mit gerunzelter Stirn an.
Gaurije war mit ihm zu seiner Höhle gegangen. Dort blieben sie bis zur Abenddämmerung. Kein Mensch besuchte sie und scheinbar suchte kein Mensch nach ihnen. Als es dann dunkel war, zündeten sie eine Fackel an, diese hatte Matthias einst vom Abuna als Geschenk erhalten. Nachts zündete er sie an, wenn er las. Und Feuer war auch wichtig gegen die Wölfe, wenn sie keinen Hund zum Schutz bei sich hatten.
Sie warteten noch eine Stunde, denn um diese Stunde legten sich die meisten Badeboje zum Schlafen auf ihr Bett hin.
Sie nutzten die Zeit für ein Kennenlerngespräch.
„Ich kenne niemand sonst, der sich so sehr für Geschichte und Sprachen interessiert wie du. Du bist uns allen weit voraus. Wir schätzen die Bildung nicht.“
„ Nicht alle sind so.“
„ Ja, die Geistlichen nicht.“
„ Aus der Geschichte kann man Vieles lernen für das eigene Leben. Es ist nicht sinnlos. Aber, wie es offensichtlich so ist, sind die Menschen zu sehr mit ihren eigenen Sorgen beschäftigt. Irgendwie kann ich das auch verstehen. Wenn ich eine Familie zu versorgen hätte, würde ich wohl nicht so sehr an das Lesen denken.“
„ Du bist die meiste Zeit ganz allein. Fühlst du dich nicht einsam?“
„ Doch, natürlich, aber ich habe mich freiwillig dazu entschieden. Ich mag den Lärm unter so vielen Menschen nicht. Ich brauche das, deswegen ziehe ich mich ab und zu zurück. Wie ist es bei dir?“
„ Das erste Mal, als ich draußen in einer Höhle schlief, da war ich erst vierzehn Jahre alt. Meine Eltern suchten nach mir, sie dachten schon, ich sei entführt worden. Als ich am nächsten Tag wieder zurückkam, hat mich mein Vater dermaßen verdrescht, dass ich noch heute seine Peitschenhiebe spüre. Nach dem zweiten und dem dritten Mal hatten sie es aufgegeben, mich zu tadeln, sie fragten danach nicht mehr nach mir.“
Matthias konnte an Gaurijes Körperbewegungen – er schaute die ganze Zeit nach unten und senkte sein Haupt etwas nach links, von Gaurije aus gesehen, und der kleine Finger seiner rechten Hand zuckte bisweilen – irgendetwas verheimlichte dieser Junge. Mochte Gaurije sympathisch sein und ihm gegenüber aufgeschlossen, so hatte Matthias nicht den Wunsch, sich mit ihm anzufreunden. Er wollte allein sein. Für die kommende Mission brauchte er seine Unterstützung. Dennoch, er war ein Eigenbrötler, ein Einzelgänger. Ein Freund würde ihn wohl von seinen wichtigen Aufgaben ablenken.
Matthias brach das Gespräch ab und meinte, sie sollten nun aufbrechen. Sie schlichen sich sogleich den Hang zum Tal hinab. Die Fackel hielten sie gesenkt, Menschen in der Ferne waren von hier aus nicht zu erkennen und ein Licht hätte sie zu leicht verraten. Als sie im Tal angekommen waren, schritten sie im Eiltempo geradeaus in Richtung Süden, in Richtung des Dorfes Ehwo. Als sie Badibe hinter sich gelassen hatten, liefen sie einige Minuten lang Seite an Seite. Bis Ehwo dauerte es etwa eine Stunde lang zu Fuß. Sie konnten es nicht riskieren, von irgendwelchen Ehwoje gesehen zu werden, also nahmen sie einen Umweg über die Berge westlich des Dorfes. Hier quälten sie sich durch ein Gehege auf einem Bergkamm hindurch. Hätten sie nur einen Schritt in die falsche Richtung gemacht, wären sie in das weite Tal hinabgestürzt und von ihnen wäre nichts mehr übriggeblieben.
Matthias kämpfte sich eisern durch das Gehege. Es stachen ihn Mücken und Fliegen. Eine hatte er töten können. Als er spürte, wie das Blut aus seiner Hand gesogen wurde, schlug er mit der Innenfläche seiner linken Hand zu und zermatschte sie. Stacheln von den Sträuchern blieben an seiner Kleidung kleben, als sie das Gehege und den Bergkamm überlebt hatten und wieder zurück ins Tal gelangt waren, klopfte Gaurije sie von ihm ab. Sie beide hatten einige Kratzer an ihren Beinen und Armen, aber sie spürten den Schmerz nicht, sie dachten nur an ihre Mission.
Matthias drehte sich um und sah in der Ferne große dunkle Flächen. Er deutete sie als Gebäude. Also
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