Liebe und Völkermord
schöpfen. Zwar war die Matte, auf der Matthias geschlafen hatte und er nun saß, noch feucht und er hätte sich schon denken können, jemand anderes würde sich im Haus aufhalten, doch als Meridschan den Raum betrat und ihn sitzend antraf, schaute er nur lächelnd zu ihr auf. Seine Gedanken waren bei seiner Familie und seinen eigenen Problemen.
Sie setzte sich hin. Er seufzte. „Dein Verlust betrübt mich sehr.“
„ Ich danke Euch.“
„ Es muss schwierig sein, allein zu leben.“
„ Ja, das ist es.“
„ Wenn ich dir irgendwie helfen kann, brauchst du es nur zu sagen. Deine Verwandten leben weit weg, ich weiß. Aber es wäre das Beste, wenn wir dich dorthin bringen würden.“
„ Ich weiß noch nicht, ob ich zu ihnen hingehen will. Vielleicht bleibe ich hier. Ich muss darüber nachdenken.“
Ursprünglich hatte Mahmud Meridschan als Braut für seinen Sohn ausgewählt, obwohl sie nicht aus gutem Hause war. Doch die Lage hatte sich geändert.
Sie war einfach zu neugierig, um ihn nicht zu fragen. „Wie geht es Ali? Wo hält er sich auf?“, fragte sie ihn leise, so stellte sie sicher, Matthias würde akustisch keines ihrer Worte verstehen.
„ Er ist wohlauf, er befindet sich in unserem Haus. Nochmals, es tut mir alles leid.“
Die junge Kurdin hatte eine Ahnung, wahrscheinlich entschuldigte sich Mahmud wegen der nun anstehenden Beziehung seines Sohnes zu Maria. Sie war deprimiert. Sie bedankte sich bei ihm und er verabschiedete sich sogleich und verließ das Haus. Nachdem sie die Tür geschlossen hatte, trottete sie deprimiert zurück ins Wohnzimmer. Sie hatte wohl gegen Maria verloren. Wenn auch noch Alis Eltern ihre Beziehung unterstützten, dann war die Sache klar.
Matthias kam aus seinem Versteck hervor und schlich sich ins Wohnzimmer. Seine Geliebte saß dort, tief in Gedanken versunken. Er fragte sie, was denn geschehen sei, sie aber wich aus und erzählte ihm nicht die Wahrheit. Das war nun wirklich höchst eigenartig, wurde Matthias klar. Sie trauerte nicht um ihren ermordeten Bruder. In seiner Verzweiflung zu tief versunken und von seinem Vertrauen in ihr zu stark eingenommen, hakte er nicht weiter nach.
Sie musste mit Ali sprechen. Das war schwierig anzustellen, zumal Ali nicht mehr so oft in die Wälder ging, und in diesen Zeiten ohnehin nicht. Irgendwie musste sie ihm wieder über den Weg laufen. Nun ärgerte sie sich selbst, warum sie ihn am Tag zuvor nicht angesprochen hatte. Aber er hatte blass und verwirrt ausgesehen. Sein verstörter Blick zu ihr hatte sie zurückgeschreckt. Nun ärgerte sie sich doch wieder, warum sie sich die Gelegenheit hatte entgehen lassen.
Sie verließ das Haus unter dem Vorwand, sie brauche frische Luft und blieb seitlich vor dem Gehweg stehen, noch auf dem Grundstück ihres Hauses. Ihr Körper war nach Norden gewandt. Dort hielt sie Ausschau nach Ali. Sie harrte eine halbe Stunde lang aus, freilich sie würde nicht den ganzen Tag lang dort stehen können, denn irgendwann würde sie jemand sehen und fragen, auf wen sie warte. So geschah es eben, denn Imam Musa huschte an ihr vorbei. Er hatte sie bereits einige Schritte hinter sich gelassen, als er sich dann doch noch zu ihr umdrehte und auf sie zu ging. Der Geistliche sah heute anders aus, viel blasser und seine Augen waren viel rötlicher als sonst. Er wirkte befremdlich auf sie, doch sie blieb auf ihrem Platz und verneigte sich vor ihm. Sie küsste seine rechte Hand, er hatte sie zu ihr ausgestreckt.
Im Haus auf und ab gehend, brütete derweil der kleinwüchsige Aramäer über das seltsame Verhalten seiner Verehrten. Sie war jetzt schon so lange fort.
Musa sprach ihr sein Beileid für den Tod ihres Bruder aus. Dann fragte er sie, ob sie auf jemanden warte. Sie verneinte und meinte, sie würde es im Haus nicht mehr aushalten, doch würde sie sich nicht trauen, ihr Grundstück zu verlassen. Der Mufti nickte nur, drehte sich dann um und spazierte davon.
Es war so ruhig im Dorf, als wäre es mitten in der Nacht. Sie wartete weiter und hielt Ausschau, aber nicht Ali noch jemand anderes tauchte auf dem Gehweg auf. Die Sonne stand am Zenit, jetzt konnte es sogar tödlich sein, zu lange in der Sonne zu stehen. Solch ein Durst hatte sie bisher noch nie geplagt. Sie rannte zurück zur Haustür. Sie platzte herein, der vor sich hin grübelnde Matthias stand gerade im Eingang des Wohnzimmers, mit dem Rücken zur Haustür gerichtet. Er zuckte zusammen und versteckte sich wieder in der Ecke. Meridschan eilte in die
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