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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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Männer so veranlagt seien. Dem war wohl so, dachte sie. Sie alle seien darauf aus, die Frauen sexuell zu verführen. Dementsprechend wären sie Sklaven ihrer Lust und würden alles für eine willfährige Frau tun. Auf diese Weise wären sie manipulierbar. Bei Ali hätte das nicht funktioniert, da er wohl mehrere Geliebte an der Hand gehabt hätte. Bei Matthias' Fall aber wäre sie die Einzige. In dieser Hinsicht hatte sie einen zwiespältigen Charakter. Dennoch war sie kein schlechter Mensch. Dieser Widerspruch ihres Charakters war ein innerer Kampf ihres Geistes zwischen dem Guten und dem Bösen. Das Gute überwog das Böse, obgleich bisweilen das Böse das Gute überwand.
    Matthias legte sich auf den Rücken hin. Er dachte zuerst über Meridschan nach. Ihr Verhalten war merkwürdig. Wenn sie ihn doch liebte, würde sie sich ihm doch nicht verweigern. Oder es waren eben die vielen schrecklichen Ereignisse der letzten Tage. Und Frauen wären sensibler als Männer, was das Verarbeiten von traumatischen Erlebnissen beträfe. Dann kam ihm Soraja in den Sinn. Er hatte sich nicht einmal von ihr verabschiedet. Höchstwahrscheinlich würde er sie nie wieder sehen. Ihr gegenüber hatte er sich nicht gerecht verhalten. Jetzt erkannte er, er hatte das Mädchen tief im Herzen verletzt. Sie war ein so nettes und charakterlich zweifellos unbehaftetes Mädchen. Doch was war der Grund, warum er Meridschan ihr vorzog, fragte er sich. Es war zweifellos die Wahrnehmung seiner Augen. Die Kurdin war reizvoller als die Roma. Er selbst verlangte von den Frauen und von den anderen Menschen, sie sollten ihn nicht oberflächlich betrachten. Doch er selbst war in Bezug auf die Frauen oberflächlich, was er jetzt einsah. Dann redete er sich ein, dies sei seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte so gewesen. Die Frau sollte hübsch und der Mann klug und begabt sein. Alle Menschen seien so veranlagt, er selbst würde da keine Ausnahme bilden. Gewiss, der Charakter sei sehr wichtig und würde darüber entscheiden, wie lange die Beziehung halten würde, doch das Aussehen und hier vor allem die Schönheit und die Ausstrahlung des Menschen wären omnipräsent und seien daher nicht wegzudiskutieren.
    In diesem Zimmer gab es auf der gegenüber vom Eingang liegenden Seite ein kleines Fenster. Es lag zu weit oben, nicht einmal Meridschan war groß genug, um daraus herausschauen zu können. Da die Fensterseite im Osten lag, schienen sofort bei Sonnenaufgang die ersten Sonnenstrahlen in die Mitte des Raumes hinein und erhellten ihn wie eine in einem stockdunklen Raum angezündete Kerze. Augenblicklich erwachte Matthias und schaute nach rechts zu Meridschan. Überrascht war er, ihr Bett war leer. Er stand auf, die Rückseite seines Hemdes war nass wegen des Schweißes seines Schlafes. Schon in dieser Frühe wurde es erdrückend warm im Tur Abdin zu dieser Jahreszeit. Er schaute im Nebenraum und in der Küche nach, sie war aber nicht im Haus. Sie hatte ihm strikt angewiesen, nicht das Haus zu verlassen und er wollte diese Vorschrift keinesfalls verletzen. Er fühlte sich einsam und dachte bisweilen deprimiert, vielleicht hätte sie ihn verlassen und würde nicht mehr zurückkommen.
    Im nächsten Augenblick betrat sie das Haus. Matthias war so froh, sie zu sehen, er wollte nicht einmal wissen, wohin sie gegangen war. Sie schlenderte zu ihm und umarmte ihn innig. Dann bat sie ihn, sich ins Wohnzimmer zu setzen, sie würde ihnen einen Tee machen.
    Als sie dann im Wohnzimmer gegenüber voneinander saßen und den Tee kosteten, schaute sie ihn verzweifelt an. „Wir haben hier nichts mehr zum Essen. Irgendwie muss ich uns Essen beschaffen. Obst zu besorgen, ist einfach, nur Fleisch, ich weiß nicht, von wo ich Fleisch besorgen soll.“
    „ Das ist in Ordnung, ich kann auf Fleisch verzichten.“
    „ Nein, du musst wieder zu Kräften kommen. Du siehst abgemagert aus. Ich werde uns Fleisch besorgen. Geld habe ich keines mehr. Vielleicht sind unsere Nachbarn so freundlich, uns etwas zu geben. Oder … Nein, das kommt nicht infrage. Das wäre eine Sünde.“
    Der Aramäer dachte nach, was sie meinte, als sie innehielt. Dann verstand er es. „Nein, das ist es nicht. Es geht um unser Überleben. Wären sie noch hier, würden sie es genauso sehen und ihr Essen mit uns teilen.“
    Sie trank weiter aus ihrem Becher Tee und schwieg eine Weile lang. Dann nickte sie und sagte, sie sei damit einverstanden. Sie würde in den verlassenen Häusern der Aramäer nach Nahrung

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