Liebe und Völkermord
sich durch sie hindurch. Der Gipfel des Hügels war nicht weit entfernt, doch schien er für Matthias unerreichbar zu sein. Dann schaute er in seinen Hosentaschen nach, ob er dort drin vielleicht ein Messer hatte, um sich den Weg durch die Sträucher durchschneiden zu können. Sie waren leer. Plötzlich hörte er ein Stöhnen. Es war ein unterdrücktes Stöhnen wie bei einem sterbenden Ausgepeitschten. Das Geräusch kam aus dem Osten, so änderte er sein Ziel. Vor ihm erhob sich ein ganzer Busch, irgendwie musste er sich den Weg hindurch frei schaffen. Er beugte sich vor und schaute sich an, wo die Wurzeln des Geheges waren. Dann sah er, es waren mehrere Büsche, so konnte er ihre Mitte entdecken und hindurch schlüpfen. Das Stöhnen wurde immer lauter und deutlicher. Eine Frau war am Stöhnen. Als er sich vom Boden erhob und sich den Dreck, die schwarze Erde, von der Hose abklopfte, sah er den Eingang zu einer Höhle, seitlich links von ihm. Von dort aus kam das Stöhnen. Jetzt konnte er es zuordnen. Es war das Stöhnen einer Geliebten während des Liebesaktes. Er schlich sich an den Eingang heran. Dann wartete er einige Augenblicke den richtigen Moment ab. Er holte tief Luft, duckte sich und schob sich nach vorne und schaute in die Höhle hinein. Erst konnte er nichts erkennen, die Sonne strahlte auf den Eingang hinab und warf einen Schatten auf den hinteren Raum der Höhle. Seine Augen gewöhnten sich an das helle Licht, sie schärften sich und dann erkannte er sie. Seitlich zum Eingang lag Meridschan auf dem Boden und auf ihr befand sich jener junge Mann. Sie umklammerte ihn, ihre Hände lagen auf seinem Nacken. Er nahm sie von vorne und stieß wieder und wieder zu. Seine und ihre Augen waren geschlossen. Sie genossen das Liebesspiel.
Er öffnete seine Augen. Im Raum war es stockfinster. Meridschan lag auf ihrer Matte und schlief. Er starrte die Decke an und dachte nach. Wie schrecklich wäre es doch, wenn sich diese Geschichte bewahrheiten würde. Es bedrückte ihn sehr. Wie würde er denn die Wahrheit herausfinden können? Jemanden ausfragen, war unmöglich. Sie selbst fragen, war unsinnig, denn sie würde es sowieso leugnen. Es blieben also einzig und allein zwei Wege. Entweder er würde sich auf seinen Instinkt verlassen, selbst einschätzen, ob sie eine Frau von solch einer Sorte war. Oder er würde ihr auflauern, ihr folgen und nachforschen, und schließlich mit eigenen Augen und Ohren die Wahrheit herausfinden.
Der nächste Tag verlief genauso wie der vorherige. Dann, am späten Nachmittag, entschuldigte sich Meridschan bei Matthias, sie müsse wieder herausgehen und ihre Besorgungen machen. Nachdem sie fort war, kam nun also der Zeitpunkt, an dem der Mann handeln musste. Wenn er sie noch einmal mit diesem jungen Kerl erwischen würde, war die Sache klar und sie hätte ihn die ganze Zeit über belogen. Sie in flagranti mit ihm zu sehen, das freilich konnte er sich nicht wirklich vorstellen. Es sei zu gefährlich. Wo hier in dieser Gegend würden sie es denn tun, fragte er sich. Wohl irgendwo hinter den Hügeln.
Doch nun musste er sich beeilen, wahrscheinlich war sie schon am Brunnen angekommen. Wie am gestrigen Tag schlich er sich am Westteil des Dorfes an den Häuserecken entlang. Dann blieb er genau an der Hausecke stehen, wo er einen Tag zuvor gestanden und das Paar am Brunnen beobachtet hatte. Er wartete noch einen kurzen Moment, atmete tief ein und wieder aus und erhaschte einen Blick auf den Brunnen. Dort stand Meridschan ganz allein herum. Sie schaute nach links und dann nach rechts, dann wieder nach links und wieder nach rechts, als habe sie sich verlaufen. Matthias war überrascht. Sie wartete wohl dort auf diesen Kerl. Er lehnte sich zurück auf die Wand. Er wartete einige Minuten, dann schaute er wieder nach. Sie stand immer noch allein dort. Wieder lehnte er sich zurück an die Wand. Es war so ruhig, er konnte sogar das Rascheln des Geheges hoch oben auf dem Hügel hören. Dann hörte er einen Ruf eines Mannes. Er kam aus dem Westen. Womöglich war es dieser Kerl. Er duckte sich wieder nach vorne und schaute auf den Brunnen. Tatsächlich, der junge Mann von gestern stand neben Meridschan. Er atmete schwerer. Er schnaufte. Die Wut zerfraß ihn beinahe innerlich. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Wie konnte das sein? Doch dann beruhigte er sich wieder. Sie sprachen doch nur miteinander. Und es schien so, als würde der Junge sie gar nicht beachten und nur seinen Eimer aus dem Brunnen
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