Liebe und Völkermord
Dorfes namens Iwardo geflohen sein. Warum gerade dorthin, konnte ich mir auch nicht erklären. Es heißt, dort gebe es eine große und uneinnehmbare Festung. Dort wähnen sie sich wohl in Sicherheit. Sie sind einfach nur zu bedauern, diese armen Aramäer.“
„ Eine uneinnehmbare Festung? Bist du dir sicher?“, fragte der Pascha plötzlich mit heiserer Stimme. „Wir haben doch einige Klöster auf unserem Weg gesehen. Sie sind nicht uneinnehmbar.“
„ Jenes Kloster aber soll anders sein. Es soll hoch oben auf einem Berg stehen und seine Mauern sollen dick sein.“
Ali hatte sich immer noch nicht gerührt. Orhan schaute nur vor sich hin. Er jonglierte mit der Flasche in seinen Händen. Als sie ihm aus den Händen glitt und genau zwischen seinen Beinen auf die Matte herab fiel, hielt er inne, stützte seinen Kinn an seiner linken Hand ab und schaute müde und gelangweilt drein. Dann lachte er plötzlich. Er verstummte aber sofort wieder. „Diese armen Christen.“
Ali schloss seine Augen. Orhans Worte hallten in seinem Ohr wider. Vor ihm drehte sich alles. Es wurde neblig, er konnte nichts erkennen. Sein Blick schärfte sich dann allmählich. Da sah er sie, jene Festung, von der sein Freund gesprochen hatte. Sie stand sehr weit oben, auf dem Gipfel eines Hügels. Er schaute hinauf, schärfte seinen Blick und erkannte die Krieger der Aramäer auf den Zinnen. Sie hielten ihre Gewehre in seine Richtung gezielt. Vor dem Pascha stand seine riesige Armee von Söldnern. Sie bewegten sich nicht und holten auch nicht zum Gegenschlag gegen die Aramäer aus. Dann plötzlich drehten sich die Köpfe aller Soldaten zu ihm um und starrten ihn grimmig an. Er sollte ihnen den Befehl zum Angriff geben.
Schockiert wachte er aus diesem Alptraum auf. Orhan erschrak und erhob sich, doch fiel er wieder herum, da sein gelähmtes Bein ihn behinderte und sein anderes ausrutschte. Er fiel auf seinen Rücken. Obwohl die Matte weich war, schmerzte sein Rücken und er konnte den harten Erdboden unter der Matte spüren. „Was ist los, Ali? Hattest du einen Alptraum?“
Ali saß nun aufrecht, sein Blick geradeaus gewandt, starrend auf die Ecke des Zeltes. Orhan befürchtete, sein alter Kumpane würde den Verstand verlieren. Angesichts all dem Geschehenen und dem Gesehenen war dies nicht verwunderlich.
Der Behinderte schwitzte nicht mehr. Sein Gesicht wurde fahl. Und es war ihm auf einmal kalt geworden. Er fror und zitterte am ganzen Körper, obwohl es im Zelt um die dreißig Grad Celsius heiß war.
Der Pascha stand auf und trat in die Mitte des Zeltes vor. Er sah kräftig und vital aus, wie neu belebt. Dann ging er hastig hin und her, zwei Schritte nach links, dann wieder zurück, dann zwei Schritte nach rechts, dann wieder zurück, und dabei schaute er die ganze Zeit nur auf den Boden.
„ Ali, worüber denkst du nach?“, fragte Orhan ängstlich.
Ali flüsterte vor sich hin, Orhan konnte kein einziges Wort verstehen. Dann endlich, nach einer ganzen Weile, hielt er inne, er stand genau vor Orhan und schaute ihm in die Augen. „Was habe ich mit all diesem Mist zu tun? Nur weil Enver es befohlen hat, soll ich es tun? Warum kommt er selbst nicht hier hin und tut es?“
Nun war sich Orhan sicher, der Pascha drehte nun durch. Er wagte es nicht, ihm zu widersprechen. Wenn er in Rage geriet, würde er unberechenbar sein und er selbst, Orhan, würde sich wahrscheinlich ebenfalls nicht zurückhalten können, denn er war angetrunken. Stattdessen lächelte er ihn an, in der Hoffnung, Ali würde es nicht als Beleidigung auffassen, sondern als Unterstützung seines Willens.
Doch da hatte er sich geirrt.
„Warum lachst du?“, fragte Ali ihn mit finsterer Miene.
„ Ich lache nicht. Ich lächle nur. Du hast absolut recht.“
Orhan wurde es unbehaglich. Mit seinen beiden Händen stützte er sich ab und rückte etwas nach hinten. Sein Haupt traf auf die Seitenlinie des Zeltdaches. Ali näherte sich ihm.
„Komm schon, Ali, ich bin es, Orhan, dein bester Freund. Es ist spät und du hast seit Tagen nicht geschlafen. Du musst dich ausruhen. Dann kannst du wieder klar denken.“
Sein letzter Satz verletzte den Pascha. Er griff ihn mit seinen Händen am Kragen und zog ihn an sich. Orhan wehrte sich nicht. Dann schlug Ali mit der Faust seiner rechten Hand in seinen Unterleib. Orhan unterdrückte den Schmerz und sein Geschrei. Mehrmals schlug Ali auf ihn ein. Aus Alis Nase trat Rotz hervor, aus seiner Stirn schoss der Schweiß heraus. Sein
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