Liebe und Völkermord
geblieben. Durch den lukrativen und internationalen Handel mit den Muslimen pflegten die Aramäer gute Beziehungen zu den Muslimen der Stadt. Sie waren echte Freunde geworden. Als die Schergen des Mustafa Ali vor der Stadt standen, stellten sich hunderte muslimische Männer in Reihe vor ihnen auf und ließen sie nicht gewähren.
In anderen Gebieten des Tur Abdin waren die Muslime den Aramäern weniger wohlgesinnt. Diese ländlichen Regionen waren stark vom Ackerbau abhängig. Nur Bauern und Hirten lebten hier. Zwar gab es schon Kontakte zwischen den verschiedenen Kulturen, doch der Neid und die Gier nach einem größeren Anteil am Ackerland trieb die Menschen stärker an als den Wunsch nach Frieden unter den Völkern.
Und Muhammad selbst, ihn interessierten diese Raufereien und Streitigkeiten zwischen seinem Volk und dem der Aramäer nicht. Er sah sich auch als König der Aramäer an und folglich war er eigentlich auch ihr Beschützer. Seine Feinde waren die Türken, jene osmanischen Fremdherrscher. Wie gerne hätte er ihre Macht auf sein Herrschaftsgebiet beseitigt. Doch ohne Verbündete wäre er zum Scheitern verurteilt gewesen. Und, die Kurden waren Muslime. Für einen Großteil von ihnen hatte der Islam Vorrang vor ihrer Nation. Die Türken waren ihre muslimischen Brüder, es war also eine Sünde, sie zu bekriegen. So sahen sie die osmanische Oberherrschaft nicht als Fremdherrschaft sondern als brüderliches Vasallentum an.
An diesem Abend amüsierten sich die Sieger vor dem Zelt des Jüsbaschi. Einige der Soldaten tanzten im Kreis, einer von ihnen sang ein Volkslied, andere lachten und zählten ihre Beute ab.
Im Zelt saß der Jüsbaschi in der Mitte zwischen Generalmajor Heinz Sturm und Agha Muhammad Ali. Der Deutsche befand sich zu seiner Linken, der Kurde zu seiner Rechten. Als der Jüsbaschi das weiße Pulver in die Pfeife kippte und einen kräftigen Zug am Schlauch nahm, wirkte dies sehr befremdlich auf den Agha. Zwar hatte er von Drogen gehört, doch hatte er selbst nie welche eingenommen, noch kannte er irgendeinen Menschen, welcher sie einnahm. Der Deutsche lächelte den Kurden an und nahm den anderen Schlauch und saugte ordentlich. Der Türke stieß den Rauch durch seine Nasenlöcher aus, dabei hatte er seine Augen geschlossen. Er genoss die Inhalation sichtlich. Dann überreichte er dem Kurden den Schlauch. Der Agha war zaghaft. Er war nicht religiös, obgleich er sich geschworen hatte, sein Leben lang Muslim zu sein und den Islam zu verteidigen. Dieses Zeug kannte er nicht und er fürchtete sich vor dessen unheilvoller Wirkung. Schließlich schloss er seine Augen und nahm einen kleinen Zug. Er hustete. Der Deutsche lachte ihn aus. Dann nahm der Agha noch einen Zug, dieses Mal riss er sich zusammen und sog so lange, wie sein Atem reichte. Dann geschah es mit ihm. Ihm wurde es schwindelig. Er lachte plötzlich. Er lachte noch lauter. Solche starken Glücksgefühle hatte er noch nie gehabt. Alles war vergessen, all sein Kummer wegen Aisches Tod, all das Leiden der sterbenden Aramäer, und sein Mord an dem aramäischen Jungen aus Badibe und an dem Agha Bilad. Er vergaß sogar sich selbst. Es war ein Traum, ein ewig währender Traum, aus dem er nie wieder erwachen wollte. Real dauerte er nur zwei Minuten lang.
Als er wieder zu sich kam, fühlte er sich besser als am Nachmittag. Er war gelassen und alle Sorgen bezüglich der begangenen Morde an den Unschuldigen und der noch anstehenden Morde an den Unschuldigen hatte er abgeschüttelt. Er war geistig zu einem primitiven Stand zurückversetzt worden. Nicht wie ein reifer, lebenserfahrener und besonnener Mann agierte er sondern wie ein ungestümer Jugendlicher.
Dann begann der Jüsbaschi mit der Konversation. „Herr Generalmajor, wisst Ihr, Ihr habt mich wirklich richtig überrascht. Ihr habt tatsächlich kein einziges Mal Skrupel gehabt und habt nie Erbarmen gezeigt. Für so hartgesotten habe ich Euch nicht gehalten.“
„ Wenn ich Euch erzählen würde, was ich in Afrika getan habe, würdet Ihr das ganz gewiss nicht von mir denken, Herr Jüsbaschi.“
„ Ihr seid bisher immer einer detailreichen Schilderung Eurer Erlebnisse von damals ausgewichen.“
„ Das ist alles schon lange her. Auch wenn ich nur meine Pflicht erfüllt habe, bin ich nicht stolz auf meine Taten von damals. Und, ich habe meine Familie verloren durch diese Barbaren.“
„ Verzeiht mir, ich verstehe Euch. Aber wir haben heute unseren Freund den Agha hier bei uns, den die
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