Liebe und Völkermord
zudem, er hat auf den Wesir geschossen, was für uns alle schwere Folgen haben wird. Wir dürfen jetzt keine Panik verbreiten.“
„ Onkel Gabriel ist tot! Das wäre alles nicht geschehen, wenn dieser Johannes nicht so ein Idiot gewesen wäre.“
„ Nein, das alles wäre nicht geschehen, wenn ich nicht durch die Gegend gestreift wäre wie ein Idiot.“
„ Nein, Onkel, dich trifft keine Schuld!“
„ Schweig jetzt! Hör mir gut zu! Versprich mir, dass du niemand davon erzählen wirst! Niemand darf es wissen! Versprich es mir!“
Aziz wandte sich ab wie ein ängstliches Lamm.
„Die Männer des Wesirs werden kommen. Sie werden die Auslieferung des Täters verlangen. Wenn wir dann sagen, der kleine Johannes sei es gewesen, glaubst du, sie werden uns das abkaufen? Nein. Auch du weißt, was sie dann wohl tun werden. Das Risiko können wir nicht eingehen.“
„ Na gut, ich verspreche es.“
„ Gut. Erinnere dich genau, wo ihr gestanden habt, als er schoss. Die Patronenhülse ist zu seinen Füßen gefallen. Hat er sie aufgehoben, bevor ihr geflohen seid?“
„ Nein, ich glaube nicht.“
„ Gut, dann bitte ich dich, laufe wieder zurück dorthin, aber bitte unauffällig und suche die Hülse und bringe sie mir. Ich werde später genau hier stehen und auf dich warten.“
Aziz nickte und machte sich sogleich auf den Weg. Er liebte seinen Onkel, hierbei war er der Einzige aus der Großfamilie des Isa. Matthias hatte drei ältere Brüder, zwei ältere Schwestern, und einen jüngeren Bruder, Gabriel, der Ermordete, und eine jüngere Schwester namens Rahel. Der Tradition nach wurde dem jeweils Erstgeborenen ihres Stammes der Name Isa gegeben. So hieß sein ältester Bruder Isa, Aziz' Vater. Danach kamen Siwar und Madschid, und seine beiden Schwestern Farida und Sitto. Isa hatte schon mit sechzehn Jahren geheiratet und bekam fünf Kinder, Isa, Fuad, Danho, Mas'ut und Aziz. Siwar war von zorniger Natur und hatte sich geweigert, zu heiraten. Madschid war der Liebling ihrer Mutter. Er heiratete Sitto, eine Tochter von Basse, der Schwester seiner Mutter. Er bekam drei Kinder, Basse, Jauna und Musa. Seine beiden älteren Schwestern wurden jeweils den beiden Brüdern Aziz und Madschid, den Söhnen des Fuad, aus der Großfamilie des Ibrahim, gegeben. Sie waren sehr wohlhabend, erfolgreiche Gemüse- und Schmuckhändler. Doch waren diese Söhne des Fuad ungestüme Kerle, Raufbolde, tranken gerne und behandelten ihre Ehefrauen schlecht. Matthias rügte sie, jene einfältigen Männer aber nahmen den kleinen Mann nicht ernst. Isa und Maria mischten sich in die Eheprobleme ihrer Töchter nicht ein, denn sie wollten einen öffentlichen Skandal vermeiden.
Aus der Ehe zwischen Farida und Aziz kamen die Kinder Ibrahim, Marjam, Musa, Ablahad, Samira, Azize und Danho hervor. Die Eheleute Sitto und Madschid bekamen bisher nur zwei Kinder, Musa und Thomas.
Matthias blieb unverheiratet, nicht aus Unwillen. Vor einigen Jahren hatte er sich in Daniela, die Tochter des Isa und der Gharibe aus dem Sederi
verliebt. Das Dorf Sederi lag nur eine halbe Stunde zu Fuß von Badibe entfernt. Die Bewohner des Dorfes schauten oft zu Besuch in Badibe vorbei. Daniela war das schönste Mädchen des Dorfes. Sie erwiderte Matthias' Liebe, doch sollten sich die Familien gegen ihr Glück stellen. Isa war der Bruder des berüchtigten Murad, des Bürgermeisters von Badibe und gehörte zur Sippe des Murad. Diese Großfamilie war verrufen und ohnehin würden sie einer Verbindung zwischen ihrer Familie und der des Isa niemals zustimmen. Zudem war seinen Eltern Matthias' Zukunft gleichgültig. Matthias traf sich heimlich mit Daniela. Sie wurde einem Mann namens Isa aus dem Sederi in die Ehe gegeben, von da an trennte sie sich schweren Herzens von ihm. Matthias war lange Zeit deprimiert und zog sich mit einem großen Stapel von Büchern in eine Höhle zurück, jene Höhle, in der er die letzte Nacht verbracht hatte. Ein Jahr lang sprach er mit niemand aus seiner Familie, bis er schließlich seine Trauer überwunden hatte. Jedoch markierte dies einen Wendepunkt seines Lebens. Von da an wollte er unabhängig von seiner Familie leben. Sein Vater schalt ihn einen Taugenichts. Er hielt nichts von Matthias' Eigenbrötlerei und vor allem nichts von dessen eifrigem Lernen aus Büchern.
Matthias ließ sich nichts einreden. Er schärfte seinen Verstand. Er sog alles an Wissen auf, was in seinen Büchern stand. Fremde Sprachen waren sein Lieblingsgebiet, so erlernte
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