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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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Ausdrücke nicht benutzte, fiel als Fremder, ja fast schon als Barbar, auf.
    „ Wohin hast du geschossen? Sag es jetzt!“
    Der kleine Junge schwieg und überlegte sich eine Geschichte. Der Vater stand vor ihm, mit finsterer Miene, bereit, den Sohn zu verdreschen, wie ein in Angriffsposition stehender Tiger. Johannes kamen die Tränen. Sein Vater gab ihm eine mächtige Ohrfeige. Murad mochte winselnde Feiglinge nicht. Er war zwar schon 56 Jahre alt, doch immer noch besaß er eine kräftige Statur. Stundenlang konnte er herumbrüllen wie ein Demagoge, und er wurde nie heiser. Sein Vater und dessen Vater und auch schon dessen Vater bekleideten ein jeder das Amt des Bürgermeisters von Badibe. Sie standen in Kontakt zu den Herrschern des Landes, den Aghas und den osmanischen Beamten von Dijabakir. Nur sie hatten das Recht, Waffen zu tragen. Sie bekamen als Lohn für ihren Dienst einen kleinen Teil der von den Bewohnern durch die Kurden eingetriebenen Steuern ab. Dies war der Grund, warum die Bürgermeister der Dörfer kein gutes Ansehen unter ihren Volksbrüdern genossen.
    Als junger Mann hatte Murad in der osmanischen Armee Dienst geleistet und im Russisch-Osmanischen Krieg von 1878 bis 1879 in Europa auf Seiten der Osmanen gegen die christlichen Russen gekämpft. Für seine außerordentlichen Verdienste um das Reich wurde er von einem Vertreter des Sultans mit einem Orden ausgezeichnet. Mit diesen Ehren konnte er sich im Dorf keine Freunde machen, also behauptete er, er habe damals in Europa nicht an den Kriegshandlungen teilgenommen und sogar heimlich den Christen zum Sieg verholfen.
    Sein Vater hieß Murad. Er war von schmächtiger Natur gewesen und starb bereits mit 42 Jahren.
    Murad hatte noch zwei jüngere Brüder namens Aziz und Isa, und eine jüngere Schwester namens Madschida. Seine beiden Brüder zogen früh weg, Aziz heiratete eine Frau aus der Charabale, Isa eine aus dem Dorf Sederi. Madschida wurde die Frau des Abunas Isa.
    Seine Mutter Marjam starb zwei Jahre nach seinem Vater, aus Kummer wegen des frühen Todes ihres Mannes und durch die Kränkungen seitens ihres Erstgeborenen aufgrund seiner vermeintlichen Schandtaten.
    Seine erste Frau war Lea, die Tochter des Malke, dem Sohn von Malke, einem der Oberhäupter der fünf Großfamilien von Badibe. Sie hatte wunderschöne braune Augen und war stets pflichtbewusst. Jedoch war sie für Murad zu ruhig gewesen. Dies war offensichtlich der Grund, warum er freiwillig in die osmanische Armee eingetreten war. Lea verbrachte ihre Zeit allein im Haus, ein trübseliges Dasein. Sie starb aus unerklärlichen Gründen so jung. Murad kam ihr Tod wie eine Erlösung vor. Die Ehe blieb kinderlos.
    Er heiratete später Leas jüngere Schwester Johanna. Ihr Eigenwille und ihre Fügung in die sozialen Strukturen waren jene ihre Charaktereigenschaften, welche Murad sehr gefielen. In ihren ersten Ehejahren hielt Johanna sich zurück von diesem, in ihren Augen, Mörder ihrer Schwester. Mit den Jahren kam dann schließlich der Tag, an dem Johanna ihrem Ehemann seine Sünden vergab und von nun an das Bett mit ihm teilte. Murad bekam erst mit 35 Jahren seinen ersten Sohn von ihr geschenkt, Murad, drei Jahre später folgte eine Tochter namens Elisabeth, und fünf Jahre später, mit 43 Jahren wurde sein letzter Sohn, Johannes, geboren.
    „Ich habe ein Wildschwein entdeckt. Ich habe es erlegt“, sprach Johannes mit zittriger Stimme.
    „ Ein Wildschwein? Hör auf zu lügen!“
    Sie hörten ein Klopfen an der Haustür. Matthias stand in der Tür zum Wohnzimmer dieses in Relation zu den benachbarten Gebäuden breitflächig angelegten Hauses. Der Muchtar seufzte und blickte den kleinen Mann verächtlich an.
    „Euer Sohn ist für den Tod meines Bruders verantwortlich.“
     
    Aziz und Matthias standen hinter einer Böschung nebst der Landstraße auf der östlichen Seite des Dorfes. Niemand konnte sie von dort aus hören.
    „ Er ist verrückt. Ich habe ihn davon abhalten wollen. Aber er ist einfach nur verrückt. Er hat auf ihn geschossen.“
    Matthias runzelte die Stirn. Das waren schreckliche Nachrichten, jedoch wollte er nun ruhig und besonnen bleiben und gut überlegen, was er unternehmen sollte. „Du darfst niemand davon erzählen.“
    Sein kleiner Neffe keuchte, er konnte Matthias nicht verstehen. „Warum? Alle müssen es erfahren!“
    „ Nein! Wir müssen zuerst schauen, was sein Vater zu dem Vorfall sagt. So wie ich ihn kenne, wird er versuchen, seinen Sohn zu decken. Und

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