Liebe und Völkermord
hätte, hätte er es nicht getan. Gewalt würde nur neue Gewalt heraufbeschwören, sagte er. So setzte er sich jetzt als persönliches Ziel, eine Blutfehde zwischen seiner Familie und der des Murad zu vermeiden. Es sei tragisch, wenn christliches Blut vergossen worden sei, doch dürfe auf gar keinen Fall noch mehr davon durch die Hand von Christen vergossen werden.
Darauf betrat Antar das Haus. Er meinte, zwar sei Aziz der Täter gewesen, doch sei Magdalena die Urheberin des tragischen Ereignisses gewesen und, so gesehen, sei der Vorfall eine interne Angelegenheit ihrer beiden Familien, der des Murad und der des Antar, und sie selbst, die Familie des Isa, müsse sich keine Gedanken mehr machen. Doch spreche er nun von sich aus. Sie müssten noch abwarten, wie Murad selbst reagiere.
Und eben dies war der Punkt, vor dem Isa und sein Sohn Isa sich fürchteten. Der Muchtar war als unberechenbarer Mann bekannt. Was würde er nun tun? Als gläubig galt er nicht, sicherlich würde er nicht im Sinne des christlichen Glaubens den Tätern vergeben. Er würde bestimmt Rache für das vergossene Blut seines Sohnes fordern, da waren sich alle Anwesenden im Hause des Isa einig. Aziz blieb als Einziger still und sprach kein einziges Wort, auch wenn bisweilen die Augen der vier anwesenden Männer und seiner Mutter auf ihn gerichtet waren. Ihm gingen die Bilder des Ereignisses in der Höhle nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte sich klanglos und unbemerkt an Johannes herangeschlichen und mit all der Kraft seiner Arme den großen Stein in seinen Händen gegen seinen Hinterkopf geschlagen. Wie das Blut aus Johannes' Schädel unaufhörlich schoss! Es war schrecklich. Noch einmal wollte Aziz solch eine Tat nicht begehen. Nicht an einem anderen Menschen. Jedoch hätte Aziz - und das war das wirklich Schreckliche an diesem tragischen Ereignis – den Totschlag noch einmal ausgeführt. Johannes hatte es seiner Meinung nach verdient. Er hatte für sein sündhaftes Vergehen an der süßen und unschuldigen Magdalena den Tod verdient. Kein bisschen Reue verspürte er.
Der Großvater schlug vor, den Pater Petrus um Rat zu bitten. Petrus stand draußen vor dem Haus. Antar öffnete die Haustür und trat hinaus. Da sah er seinen Vater, den Dorfältesten Aljas, die beiden anderen alten Männer des Dorfes, nämlich Ibrahim und Malke, und sie standen im Kreis um den Pater herum. Nur selten war der Pater ins Dorf gekommen, meistens sonntags zum Gottesdienst und zu den hohen Festtagen wie Ostern und Weihnachten. Er spendete zwar den Dorfbewohnern seinen Segen, doch hatte er mit ihnen kein Wort gewechselt. Der einzige weltliche Badebojo in seinem Bekanntenkreis war Matthias. Er ahnte schon, das ihm erst kürzlich auferlegte Amt würde zu einer Bürde werden. Er sollte den Richter in diesem Konflikt spielen. Die Aramäer erkannten nur die geistliche Macht an.
Antar bat Isa, die Männer zu beruhigen. So eilte Matthias' Vater aus dem Haus heraus, trat an Pater Petrus heran, vergewisserte sich seines Wohlergehens und ermahnte die alten Herren, sich aus dieser Angelegenheit herauszuhalten. Malke und Ibrahim entfernten sich darauf sofort. Muksi Antar blieb auf der Stelle und streckte seinen rechten Arm gegen Isa aus und behauptete, Isa habe keinen Anstand und habe ihn beleidigt. Aljas, Muksi Antars Hassfreund, widersprach ihm und verteidigte Isa und sagte, sie müssten nun die Ruhe wahren und niemand dürfe überstürzt handeln.
Bei Morgengrauen öffnete Murad seine Augen. Sein Gesicht war blass und durch die Tränen, den Rotz seiner Nase und den Staub des Bodens dreckig. Er war der Bürgermeister und ein eitler Mensch. So sehr, wie er wert auf sein gepflegtes Äußeres legte, so schreckte nun seine verkommene Gestalt den Betrachter ab. Er schaute auf und schaute in das Gesicht seines toten Sohnes. Die Trauer in ihm war verflogen. Wut stieg in ihm empor. Die Muskeln seiner Arme und seiner Beine funktionierten wieder und er war wieder der starke Mann wie zuvor, voller Tatendrang und stets bei schwierigen Situationen die Initiative ergreifend.
Abuna Isa saß an der Wand angelehnt zu seiner rechten Seite. Murad runzelte die Stirn. Trotz seiner inneren Wut und seines versteinerten Herzens hatte er Mitleid mit dem Pfarrer und half ihm auf, um ihn zurück ins Dorf zu führen. Der Abuna schwieg die ganze Zeit. Er schien sich an Murad zu erinnern und noch zu verstehen, wo er sich befand, doch war er geistig abwesend und von nun an brauchte er eine menschliche
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