Liebe und Völkermord
Amtes und die Drohung durch die Türken hatten seinen Geist zu sehr bedrückt, wie der Mönch erkannte. Er betete noch einmal für sich selbst, Gott möge ihm die Kraft geben, seine Schafe richtig hüten zu können.
Danach ging der Mönch zurück zum Innenhof der Mutter Gottes-Kirche. Aziz sollte nun vom Geistlichen verhört werden. Isa und Antar standen neben Aziz vor dem Eingang der Kirche. Petrus nickte den Männern schweigend zu, dann nahm er Aziz' Hand und führte ihn mit sich in die Kirche. Unter Ausschluss der beiden Männer sprach er mit dem Jungen.
Nach einer halben Stunde öffnete sich das Kirchentor und Aziz kam allein heraus. Isa betrat darauf allein die Kirche und schloss das Tor hinter sich. Draußen packte Antar den kleinen Aziz an der Schulter und fragte ihn, was der Mönch zu ihm gesagt habe. Der Junge senkte seinen Kopf und antwortete ihm, der Abuna Petrus hätte gesagt, er sei unschuldig. Antar ließ den Jungen gehen. Er schaute deprimiert zum Himmel über ihm auf, denn er hatte eine Vorahnung, irgendetwas Schlimmes würde doch noch einmal den armen Bewohnern Badibes widerfahren.
Petrus stand vor dem Altarraum, mit dem Gesicht zum Altar gewandt. Isa blieb zwei Meter hinter ihm stehen. Er wartete einen Augenblick bis der Abuna sich zu ihm umdrehen würde. Doch der Mönch drehte sich nicht um. Schließlich brach Isa das Schweigen. „Abuna, Ihr habt eine schwierige Aufgabe zu lösen. Ihr müsst ein Urteil fällen! Wir schwören, wir werden Euer Urteil akzeptieren, ganz gleich, wie es ausfällt.“
Der Mönch drehte sich immer noch nicht um. Seine Hände waren ineinander gefaltet und versteckt unter den Ärmeln seiner schwarzen Kutte. Sein Kopf stand gesenkt und seine Augen waren geschlossen. Er meditierte. Dann sprach er doch noch mit heiserer Stimme: „Und was ist mit dem Vater des Opfers? Wird er auch das Urteil Gottes anerkennen?“
Isa räusperte sich verlegen. Der Pater kannte den Muchtar und sein Temperament nicht. Doch wollte Isa den Abuna über den Charakter des Bürgermeisters nicht aufklären, denn es hätte wie eine Intrige und Hetze gegen Murad ausgesehen. Also sagte Isa einfach nur, er wisse es nicht und sie müssten ihn selbst fragen.
Er blieb noch einige Minuten schweigend dort stehen, dann ging er zum Tor, öffnete es und ließ Antar in die Kirche eintreten. Seite an Seite schritten sie auf den Mönch zu. Nun hob der Mönch sein Haupt und drehte sich zu ihnen um. Sie blieben stehen. Antar schaute besorgt erst den Mönch, dann Isa an. „Das Mädchen ist seit heute Morgen verschwunden. Vielleicht steckt Murad dahinter. Verzeiht mir, Abuna, aber auch wenn Ihr den Jungen für unschuldig erklärt, müsst Ihr dennoch eine Strafe über ihn oder seinen Vater verhängen.“
Der Mönch zuckte verwirrt sein Haupt zurück. „Nein, das müssen wir nicht tun! Es liegt nun bei dem Muchtar, Charakterstärke zu zeigen und keine Entschädigung für seinen Verlust von der Familie des Isa zu verlangen. Wir leben in schweren Zeiten. Die Moslems bedrohen uns, so schlimm wie noch nie. Lasst ab von dem Hass des Bruders auf den Bruder! Gott befiehlt es euch!“
Isa und Antar senkten ihre Häupter aus Respekt.
„Wir gehorchen Euch, Abuna. Doch fürchte ich den Zorn des Muchtars. Ohnehin war das Verhältnis zwischen uns angespannt.“
Petrus seufzte genervt. „Das werden wir jetzt klären. Folgt mir!“
Sie machten ihm Platz und er huschte zwischen ihnen hindurch und eilte zum Tor. Antar und Isa guckten sich gegenseitig überrascht an. Der Pater öffnete das Tor und verschwand dahinter. Antar schüttelte den Kopf. „Ich glaube, wir hätten den Pater doch nicht mit dieser Aufgabe betrauen sollen. Was ist, wenn sich der Muchtar gegen ihn erheben sollte, so wie er es schon öfters gegen Abuna Isa damals getan hat?“
„ Ja, das befürchte ich auch. Wenn es so kommen sollte, werden wir an seiner Seite sein und Pater Petrus in Schutz nehmen. Komm!“, sprach Isa und ging los. Antar blieb immer noch stehen und schaute ihm hinterher. Er befürchtete, es würde nun zum handgreiflichen Kampf zwischen den Familien kommen. Wenn der Muchtar sich auf Isa stürzen sollte, wie sollte er sich in diesem Moment verhalten, fragte er sich. Er war nun hin- und hergerissen. Er wollte einem Konflikt aus dem Wege gehen, doch andererseits wollte er auch seiner Nichte und damit auch Aziz und der Sippe des Isa beistehen. Schließlich folgte er dann doch noch dem Isa.
Als Murad dann an diesem Morgen sein Haus betrat
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