Liebe und Völkermord
hatten und eben aus diesem Grund unser Dorf angegriffen hatten.“
„Das war nicht die Männer des Wesirs!“, schrie Aljas.
Murad kehrte den beiden alten Männern den Rücken zu.
Scham'en war mit der Gruppe des Klemens in Richtung Iwardo gezogen. Vorher aber hatte er seiner Mutter von Barsaumos Mord an Aische erzählt.
Eine Weile lang starrten alle Anwesenden vor sich hin. Auch Ambrosiani wusste nicht, was er jetzt noch sagen sollte.
Plötzlich tauchte Murads ältester Sohn Murad vor dem Tor auf. Er war außer Atem und schrie: „Vater! Vater!“
Der Bürgermeister von Badibe drehte sich um und erblickte seinen Sohn. Er schaute verdutzt. „Was ist los?“
Der Sohn hielt inne und senkte seinen Kopf. Stotternd erzählte er, was sich in der Höhle nördlich des Dorfes ereignet hatte.
Es wurde still. Alle Männer schauten nur fassungslos den Überbringer der Schreckensnachricht an.
Der Vater schüttelte den Kopf und glaubte den Worten seines Sohnes nicht. Nach einem kurzen Moment aber marschierte er hastig zum Tor. Als er den Hang vom Kloster hinab gestiegen war und endlich den Gehweg erreicht hatte, lief er los. Viele Gedanken quälten seinen Geist. Johannes, sein geliebter Sohn, konnte doch nicht wirklich gestorben sein! Wenn es doch die Wahrheit war, dann sollte dies das Ende seines Glücks und seines Lebens sein, dachte er.
Er rannte durch das Dorf. Einige Dorfbewohner standen vor ihren Häusern und sahen ihn. Sie wandten sich von ihm ab. Die Frauen weinten.
Nachdem er endlich den Nordhügel überquert hatte, sah er den Hügel im Westen, wo sich oben die Höhle befand. Er rannte weiter und bestieg den Hang.
Als er oben neben dem Eingang zur Höhle stand, hielt er kurz inne. Er fürchtete sich vor dem, was ihn drinnen erwarten würde. Der Moment der Wahrheit war nun gekommen. Seine Arme und Beine zitterten. Er atmete schwer durch die Nase. Das heftige Klopfen seines Herzens hörte er. Schließlich machte er einen großen Schritt mit seinem rechten Bein nach vorne und stand nun im Eingang.
Als er die Leiche seines Sohnes sah, brach er zusammen und blieb eine ganze Stunde lang auf dem Boden der Höhle liegen. Abuna Isa, Matthias' Vater und einige andere Männer wollten ihn forttragen, doch er kam wieder zu sich und stieß sie von sich. Auf dem Boden liegend beklagte er den Tod seines so jungen und geliebten Sohnes. Er flennte und winselte. Gott verurteilte er. Abuna Isa beließ den Muchtar in seiner Trauer. Erst der Tod des jungen Gabriel, dann der Tod des Tuma durch Barsaumos Hand und jetzt auch noch der Tod des sehr jungen Johannes durch die Hand von Aziz. Der Pfarrer starrte die ganze Zeit vor sich hin, er stand genau neben dem am Boden liegenden Muchtar, und schüttelte die ganze Zeit den Kopf. Er flüsterte irgendetwas Unverständliches vor sich hin. Isa konnte seine Tränen nicht zurückhalten. Noch nie hatte er ein zu Tode erschlagenes Kind von nur zwölf Jahren gesehen. Und der Mörder war auch noch sein eigener Enkel. Wie würde er sich bei dem Muchtar für diese schwere Schuld entschuldigen können? Wie würde er dem Muchtar überhaupt jemals wieder in die Augen schauen können?
Isa legte seine Hände auf die Schultern des Pfarrers, doch der Abuna war von nun an geistig verstört. Er war alt geworden und nach all den vielen schlagartig aufeinander gefolgten Tragödien hatte er den Verstand verloren. Bis zum Abend, nach Sonnenuntergang, blieb er auf dieser Stelle stehen und flüsterte weiterhin die ganze Zeit etwas Unverständliches vor sich hin.
Johanna, die Frau des Muchtars, kam herbei. Sie fiel in Ohnmacht. Ihr Sohn Murad trug sie fort.
Am Abend hob der Muchtar endlich seinen Kopf an und schob sich zu der Leiche seines Sohnes. Im Zwielicht konnte er noch umrissartig Johannes' Gesicht erkennen. Er küsste ihn auf seine Wangen, legte sich danach neben ihm hin und drückte seinen Kopf an seine Brust. Nun heulte er und schrie. Sein Herz blutete. Die Ringe unter seinen Augen wurden tiefer und seine Augen tiefrot.
Abuna Isa vergoss keine Träne. Er stand all die Stunden immer noch an jener Stelle und sprach immer noch zu sich selbst. Isa und Antar, der älteste Sohn des Muksi Antar, ließen den Pfarrer zurück. Sie erkannten, er würde sein Amt nicht mehr ausführen können. So beschlossen sie, die Mönche des Klosters d'Ghsale aufzusuchen und einen von ihnen zu bitten, die Pflichten des Pfarrers zu erfüllen. Die Mönche waren schockiert über die Neuigkeit. Bischof Ambrosiani hielt sich mit
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