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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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können.
    Schließlich erreichte er den Gipfel und sprang sofort auf die andere Seite des Hügels. Als er das obere Ende des Hangs der anderen Seite erreicht hatte, schnaufte er. Nun wähnte er sich in Sicherheit.
    Unterdessen war Meridschan zum Haus des Mahmud geeilt. Vor der Haustür bat sie Mahmud um eine Unterredung unter vier Augen. Ali, Maria und seine Frau saßen im Wohnzimmer, Ali schlief. Er flüsterte seiner Frau zu, er würde kurz zum Imam gehen und gleich wieder zurück sein.
    Er nahm Meridschan an der rechten Hand und eilte mit ihr zur Nordseite des Dorfes. Er zweigte nach rechts ab und blieb hinter dem zweiten Haus stehen. Hier würde sie niemand sehen und hören.
    Meridschan atmete schwer. Sie schaute vor sich hin und überlegte, ob sie es dem Vater wirklich sagen sollte. Doch was hatte sie da nur vor, fragte sie sich. Was erhoffte sie sich dadurch? Ali würde sie doch nie lieben, wenn sie das tun würde. Er würde sie für immer hassen. Tatsache war, er liebte wohl diese Aramäerin. Sie schaute daher resigniert drein. Mahmud guckte sie verwirrt an. „Du kannst jetzt frei heraus sagen, was du mir erzählen wolltest.“
    Meridschan blickte verzweifelt hin und her. Sie hatte nicht an die negativen Folgen ihrer Handlung gedacht. Würde sie Mahmud erzählen, Ali habe sie selbst schon vor Jahren genommen, würde der Vater gewiss seinen Sohn tadeln und ihn zwingen, Meridschan zu heiraten und von Maria abzulassen. Aber Alis Liebe würde sie damit nicht erobern. Es wäre dann eine Ehe ohne Liebe und das wollte sie nicht. Und sie würde Matthias verlieren. Matthias liebte sie mehr als alles andere. Also entschied sie sich doch noch um. „Ich wollte Euch bitten, Ali zu sagen, dass ich ihm und Maria alles Gute wünsche.“
    Mahmud guckte sie immer noch verwirrt an. Er hatte etwas Furchtbares oder zumindest etwas Geheimnisvolles aus ihrem Mund erwartet.
    Er hob seinen Kopf und lächelte sie an. Er bedankte sich bei ihr und fragte sie, ob sie nicht irgendetwas bedrücke. Sie sprach leiser und bat ihn, niemand von dem Versteck des jungen Mannes in ihrem Haus zu erzählen. Er schwor bei seinem Leben, er würde es keinem Menschen verraten. Sie bedankte sich bei ihm, wünschte ihm eine gute Nacht und lief zurück.
    Als sie ihr Haus betrat, direkt in die Küche ging und Matthias' Abwesenheit bemerkte, geriet sie in Panik. Sie fragte sich, wohin er denn gegangen sein könnte. Oder war irgendjemand in ihr Haus eingedrungen und hatte ihn gefangengenommen, fragte sie sich. Doch die Tür war nicht beschädigt. Sie ging wieder nach draußen, in den Garten, fand ihn aber dort nicht. Da waren Fußspuren auf dem Boden bis hin zum Hügel, doch es war inzwischen schon so dunkel, Meridschan sah sie nicht. Verwirrt und nachdenklich ging sie wieder zurück ins Haus. Sie dachte, er sei hinaus gegangen, um sie zu suchen. Wahrscheinlich habe er sie vermisst. Also setzte sie sich im Wohnzimmer auf ihre Matte hin und wartete auf seine Rückkehr.
    Sie harrte eine ganze Stunde aus. Matthias kam nicht. Inzwischen war es stockdunkel draußen geworden. Sie vermisste ihn und machte sich Sorgen um ihn. Eine weitere Stunde lang wartete sie auf ihn. Sie lag auf ihrer Matte, sie schaute auf die Decke des Zimmers und weinte. Nun war sie allein. Sie hatte niemand mehr. Ihr Bruder war ihr genommen worden und ihr aramäischer Freund, ihr einziger Freund, hatte sie verlassen. Wo hätte sie hingehen sollen? Sie hätte nach Badibe gehen können, zu Matthias. Doch allein auf diesem Weg, sie als Frau, das wäre zu gefährlich gewesen. Und überhaupt, offenbar liebte Matthias sie nicht, dachte sie. Niemand liebte sie. Und niemand würde es jemals tun. Sie flennte, dann heulte sie und die Tränen schossen eine nach der anderen aus ihren Augen heraus und überzogen ihr Gesicht.
    Dann, nach einer Stunde, richtete sie sich auf. Sie verstummte und wischte sich mit der Oberfläche ihres linken Unterarmes die Tränen vom Gesicht. Sie stand auf. Sie ging zur Küche. Mit ihrer rechten Hand nahm sie ein kleines Messer vom Boden. Dann ging sie wieder zurück ins Wohnzimmer. Sie hatte bereits den Entschluss gefasst. Sie wollte nicht mehr leben. Ihre Ehre hatte sie schon vor langer Zeit verloren. Und ihren letzten Halt, die Liebe von jenem kleinwüchsigen, süßen, intelligenten und integeren Mann hatte sie nun ebenfalls verloren. Ihr Leben war damit für sie verwirkt. So würde sie nicht mehr weiterleben können. Auf diese Weise wollte sie nicht mehr weiterleben. Die

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