Liebe und Völkermord
strich seine linke Wange mit ihrer rechten Hand. Es war ihr Zeichen, er war bei ihr in Sicherheit.
Jetzt drehte sich Mahmud zu Matthias um und sah sein Gesicht. Er fand ihn sympathisch. Beim besten Willen konnte er sich diesen Jungen als Mörder der Frau des Imams nicht vorstellen.
Er wandte sich ab und schritt eilig zur Haustür.
Draußen teilte er den anwesenden Kurden des Dorfes mit, der Kleinwüchsige sei nicht im Haus des Mädchens und offenbar habe sich der Imam mit seiner Vermutung geirrt. Fuad Ali warf ihm vor, sie alle anzulügen. Er schaute seinen Betrachter stets mit zugekniffenem rechten Auge an. Seit jenen Tagen ihrer Jugend war er Mahmuds Erzrivale gewesen.
Mahmud beschwor ihn, seine Eitelkeit einmal beiseite zu lassen. Meridschan sei unschuldig und sie hätten kein Recht, sie zu drangsalieren. Darauf wurde die Menge still und auch Fuad Ali fand keine passenden Worte mehr, Mahmud zu erwidern.
Die Menge löste sich auf und alle gingen zurück zu ihren Häusern. Fuad Ali blieb als Einziger zurück. Mahmud wollte noch einmal zu dem Imam gehen, um ihm zu sagen, der Kleinwüchsige, von dem er gesprochen habe, existiere gar nicht, und womöglich habe er nicht gut geschlafen, was angesichts der tragischen Ereignisse der letzten Tage und des Mordes an seiner Frau nicht verwunderlich sei. Fuad Ali begleitete ihn. Als sie am Garten von Meridschans Haus vorbei waren und kurz vor dem Gehweg ins Dorf standen, packte Fuad Ali mit seinen beiden Händen Mahmud am Kragen seines schlichten weißen Hemdes. Er zog sein Gesicht ganz nah an sein eigenes heran. Wieder kniff er sein rechtes Auge zu und zog seine Oberlippe hoch, um seine Verachtung zu zeigen. „Ich weiß, dass du etwas verheimlichst.“
Mahmud entschied sich, sich nicht zu wehren. Er musste Fuad Ali mit Worten beschwichtigen. Er überlegte, ob er den Imam verraten sollte.
„ Na los! Ich weiß, dass du etwas Wichtiges weißt! Du weißt, wer die Frau des Imam umgebracht hat! Ich bin mir sicher, dass du es weißt.“
„ Ja, ich weiß es.“
Fuad Ali zog noch fester an Mahmuds Hemd. „Ich wusste es. Spucke es endlich aus, Viehtreiber!“
Mahmud schwitzte nicht, noch schlug sein Herz schneller. Er blieb gelassen. „Sie selbst ist es gewesen.“
Fuad Ali riss sein rechtes Auge auf. Er war sichtlich überrascht. Doch ließ er Mahmud nicht los. „Du lügst doch!“
„Doch, so ist es! Der Imam schämt sich, die Wahrheit zu sagen, deswegen erfand er den kleinwüchsigen Aramäer.“
„ Das soll ich dir wirklich abkaufen?“
„ Du weißt doch, ich besuche den Imam regelmäßig in seinem Haus. Heute Morgen lebte sie noch. Sie sah aber deprimiert aus. Bevor ich kam, hatten sie sich wohl gestritten. Ihr Tod hat den Mann verstört. Ist dir das nicht aufgefallen?“
Fuad ließ Mahmuds Hemd los. Er schaute nachdenklich vor sich auf den Boden. Er ging fort.
Mahmud hielt inne und dachte über das Vergangene nach. Der Imam hatte gelogen, dessen war er sich absolut sicher. Und er hatte einem unschuldigen kleinwüchsigen Mann den Mord an seiner Frau untergeschoben. Welch ein niederträchtiger Mann der Imam doch war. Der Grund hierfür konnte nur sein, er selbst habe die Frau ermordet. Der Imam hatte seinen Verstand verloren und wusste nicht, was er tat. Eine andere Erklärung für diese grausame Tat konnte er nicht finden.
Was hätte es gebracht, den Imam öffentlich bloßzustellen und ihn für seine Tat zur Rechenschaft zu ziehen?
So beschloss er, niemand vom wahren Gesicht des Imam zu erzählen.
Er suchte den Imam auf seinem Anwesen auf. Er erblickte ihn in seinem Garten. Der Imam stand dort auf der Erde, seine Sandalen waren dreckig, doch er stand angewurzelt dort, seine Hände auf seinem Bauch zusammengefaltet und seine Augen geschlossen. Er schien eine Andacht abzuhalten. Mahmud hielt sich entfernt von ihm, um ihn nicht zu stören. Musa gab kein Wort von sich, er machte nicht einmal ein Geräusch, es schien, als würde er nicht einmal atmen und sei versteinert. Nach zehn Minuten hielt es Mahmud nicht mehr aus und trat nah an den Rücken des Imams heran. Er blieb einen Schritt hinter ihm stehen. „Verzeiht mir, Hochwürden.“
Musa verharrte in seiner Position, er öffnete nur seine Augen. „Habt ihr ihn gefasst?“
Mahmud überlegte, was er sagen sollte.
Dann sprach er: „Der kleine Mann, von dem Ihr spracht, ist längst über alle Berge. Es tut mir leid, Hochwürden.“
„ Oh.“, stöhnte der Imam auf. Jedoch, er freute sich innerlich.
„
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