Liebe und Völkermord
dieser Bemerkung.
Der geschundene Aramäer antwortete nicht mehr. Stille machte sich breit. Schließlich seufzte der Pascha, rief den Wächter herein und befahl, den Aramäer abzuführen.
Der Italiener schaute den Pascha entsetzt an. „Wohin bringen sie ihn?“
„Macht Euch keine Sorgen, ihm wird nichts geschehen! Ihr sagtet, er hätte einen kleinwüchsigen Bruder?“
Ambrosiani schaute verwirrt zur Seite. Jetzt erst bemerkte er, er hätte Matthias nicht erwähnen sollen.
„Erzählt mir mehr über ihn!“
„ Ich kenne ihn kaum, nur flüchtig. Er heißt Matthias. Er ist richtig gebildet und spricht fließend Englisch.“
„ Tatsächlich?“
Ambrosiani lächelte zum ersten Mal. Er war stolz auf Matthias und jetzt, wo er dem türkischen Fürsten von ihm erzählte und jener Aramäer das starke Gegenteil zu den von ihm gerade umgebenden barbarischen Muslimen bildete, machte dies in diesem Moment sogar seinen Kummer wett.
Der Pascha überlegte, er hatte schon einmal von einem Kleinwüchsigen gehört. Jetzt aber entfiel ihm die Geschichte. Deswegen sagte er einfach: „Ein bemerkenswertes Geschöpf.“
Dann trank er aus der Feldflasche. Er schluckte zweimal. Der Bischof schaute ihm dabei zu. Er verachtete diesen Mann, auch wenn er ihm gegenüber nett war. Ambrosiani vermochte es, in die Seelen der Menschen zu schauen und ihren wahren Charakter zu erkennen. Der Pascha war kein guter Mensch, war er sich sicher.
Ali legte die Flasche zur Seite und nickte darauf dem Italiener zu. „Ich lasse Euch gehen, Eminenz. Wie ich es Euch versprochen habe, Euch wird nichts geschehen. Ich habe nur eine Bitte an Euch.“
Der Bischof hatte sich vor seiner Anreise nicht eine Verletzung des Gastrechts durch den Pascha vorstellen können. Und zudem war er ein direkter Vertreter des Papstes und glaubte sich dadurch in Sicherheit. Die Aramäer von Badibe hatten ihn gewarnt. Nun erst erkannte er, wie schrecklich doch der Krieg war und im Krieg zählten Ränge und große Einflüsse nicht mehr.
„Ich möchte, dass Ihr in die Festung geht, zu den anderen Aramäern. Übermittelt Ihnen mein Friedensangebot. Wenn sie die Waffen niederlegen und sie uns übergeben, werde ich sie am Leben lassen.“
Ambrosiani senkte sein Haupt und schaute nachdenklich vor sich hin. Entweder war dies ein seriöses Angebot des Paschas oder eine hinterlistige Falle, dachte er.
„Werdet Ihr ihnen meinen Vorschlag übermitteln, Eminenz?“
Der katholische Geistliche verneigte sich vor dem Türken, stand auf und versicherte ihm, dies zu tun. Ali stand nun auch auf und bedankte sich mit einem Handschlag bei dem Priester. Dann rief er seinen Wächter herbei und erteilte ihm den Befehl, Seiner Eminenz freies Geleit zu gewähren.
Der Pascha verweilte in seinem Zelt, der Söldner führte Ambrosiani hinaus. Er setzte sich wieder auf seinen Platz und schaute nachdenklich vor sich hin.
Orhan betrat das Zelt. Er schritt auf den Pascha zu und blieb einen Meter vor ihm stehen. Sein linkes Bein war fast ganz verheilt, er hinkte nur noch ein wenig. Ali schaute nicht zu ihm auf.
„Wir haben keine andere Wahl, Ali. Wir müssen das tun!“
War er doch ein Liberaler und ein Hedonist gewesen, so verstand er jetzt beim besten Willen seinen inneren Wandel nicht. Heimtücke, Hinterlist und Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren von ihm verabscheut worden. Und nun war er selbst ein Werkzeug und ein Rad der großen Maschine des Verbrechens geworden. Alles, was er sich wünschte, war, endlich wieder nach Hause gehen zu dürfen.
Plötzlich runzelte er die Stirn, schlug mit der Innenfläche seiner rechten Hand auf die untere Innenfläche seiner linken Hand und lachte dann. „Erinnerst du dich an die Geschichte vom Agha, als er in Badibe war und von einem Dorfbewohner angeschossen wurde?“
Orhan schaute ihn verwirrt an. „Ja. Woran denkst du?“
„Er hat uns doch von einem kleinwüchsigen Aramäer erzählt.“
Orhan nickte.
„Unser Gefangener ist der Bruder dieses Kleinwüchsigen.“
Nun lächelte auch Orhan. „Wer hätte das gedacht.“
„Er kann uns tatsächlich noch von großem Nutzen sein.“
Orhan schaute ihn fragend an.
„Wenn der Bruder nach Iwardo gezogen ist, wird er auch nicht weit sein. Dieser Kleinwüchsige ist klug. Ich will ihn lebendig haben.“
„ Wenn er sich in Iwardo befinden sollte, dann ist er in der Festung bei den Anderen. Er wird ihnen dann wohl mit gutem Rat beistehen.“
„ Hoffen wir das nicht, Orhan!“, erwiderte er ihm und
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