Liebe und Völkermord
sie am Leben.“
Da erkannte der Pascha es in des Aghas Augen, er sympathisierte offenbar mit den Belagerten. Diese Erkenntnis kam jetzt überraschend für den Türken. Er überlegte, wie er ihn nach seiner Loyalität fragen sollte, ohne ihn zu verärgern. Der Agha rührte sich nicht und schaute nur vor sich hin.
„Wir müssen zusammenhalten! Wir dienen einer höheren Sache. Wir tun das für unser Volk und für unseren Gott und unseren Propheten.“
Der Pascha sprach diese Worte mit Leidenschaft, als würde er eine Schlachtrede halten. Der Islam verband die beiden Männer, obgleich weder der eine noch der andere von ihnen gläubig war.
Zwar imponierten die Worte schon den Agha, er konnte sich dennoch nicht zurückhalten. „Wir sind schon immer ein freiheitsliebendes Volk gewesen, Exzellenz! Zwar genießen wir das volle Bürgerrecht des Osmanischen Reiches, doch leben wir immer noch unter einer Fremdherrschaft!“
Ali schaute Muhammad mit großen Augen an. Er brauchte den Kurden und seine Armee. Irgendwie musste er ihn beschwichtigen. „Ihr wisst, ich bin ein enger Vertrauter von Enver Pascha. Er hat mir seinen großen Plan offengelegt. Er möchte eine große Allianz aller islamischen Nationen schaffen. Sie werden unabhängig sein, doch nach außen hin wie eine Macht auftreten. Zu diesem Zweck müssen die Christen beseitigt werden. Seht, im Süden, die Araber begrüßen unseren Plan! Sie werden ihre Unabhängigkeit bekommen, genauso wie Euer Volk!“
Diese Worte klangen schön, sie waren vortrefflich gewählt. Muhammad freute sich innerlich. Doch dann machte sich wieder Nüchternheit in ihm breit. Er konnte doch niemand mehr vertrauen. Der Pascha log ihn wahrscheinlich nur an. Aber vielleicht war doch etwas an des Paschas Worten dran, dachte er. Er fühlte sich hin- und hergerissen. Letztendlich gab er nach. Er wählte den für ihn weniger risikoreichen Weg.
Inzwischen war es draußen dunkel geworden.
Der Agha bot dem Pascha noch eine Flasche an. Ali trank sie aus. Sie lachten wieder miteinander.
„ Wisst Ihr noch, als Ihr mir diese Geschichte von dem Attentat auf Euch in Badibe erzählt habt?“
„ Ja, Exzellenz, was ist damit?“
„ Ihr erzähltet von einem Kleinwüchsigen, der Euch beeindruckt hat. Ihr wolltet ihm das Leben retten.“
Der Pascha grinste, der Agha verstand nicht, lächelte aber ebenfalls, der Höflichkeit wegen.
„Unser Gefangener ist der Bruder des kleinen Mannes.“
Muhammad schaute den Pascha nachdenklich an, zwischen seinen Augen war eine große Falte zu sehen. „Er kommt aus Badibe und ist der Bruder des Kleinwüchsigen? Von wem habt Ihr das erfahren?“
„Der Bischof kam direkt von Badibe hierher. Er erkannte ihn wieder.“
Der Agha trank aus seiner Flasche und schluckte. Er lachte kurz auf. „Die Welt ist klein und das Leben hält immer eine Überraschung für einen bereit.“
Der Pascha nickte. „Allerdings!“
Muhammad schwieg und erinnerte sich an den kleinen Mann. Er kannte ihn nicht einmal. „Hat der Priester etwas über ihn erzählt?“
Der Pascha grinste wieder, er erkannte das große Interesse des Aghas an diesen kleinwüchsigen Aramäer, was ihn besonders amüsierte. Er konnte es ihm nicht verübeln, denn er selbst war nun auch sehr neugierig auf den Kleinwüchsigen geworden. „Er soll gebildet sein. Das ist höchst eigenartig. Ich dachte immer, die Aramäer von den Dörfern seien Analphabeten. Außer den Priestern natürlich. Aber er ist kein Priester, soweit ich weiß.“
Der Agha lachte wieder kurz auf. Es war ein Lachen der Freude. „Ja, er ist etwas Besonderes. Ich wusste es sofort, als ich ihn zum ersten Mal sah. Habt Ihr von dem Priester erfahren können, wo er sich zurzeit aufhält?“
„Nein, das hat er mir nicht gesagt. Mein Gefühl sagt mir, dass er sich in der Festung bei den anderen Aramäern dort drüben befindet.“
„ Also damit hatte ich ganz und gar nicht gerechnet, Exzellenz. Wenn er sich tatsächlich unter ihnen befinden sollte, bitte ich Euch, sein Leben zu verschonen.“
„ Ihr braucht mich nicht darum zu bitten, das hätte ich sowieso getan. Auch ich will diesen jungen Mann gerne kennenlernen.“
Er lächelte und hob die Flasche hoch, der Agha lächelte ebenfalls und hob seine Flasche. Sie tranken auf das Wohl des kleinwüchsigen Aramäers.
Als dann der Pascha aufstand, um zu gehen, betrat plötzlich Orhan das Zelt. Er schnaufte. „Fünf unserer Männer im Lager wurden hinterrücks erstochen.“
„ Was? Wie konnte
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