Liebe und Völkermord
schlug es aus. Darauf bat ihn der Türke, auf der Matte Platz zu nehmen. Ambrosiani setzte sich hin. Er saß nun links neben dem Pascha. Ali rückte weiter nach rechts und drehte seinen Körper um 45 Grad nach links. Sie saßen nun genau gegenüber voneinander. Der Geistliche aus Europa hatte in den letzten Wochen zehn Kilogramm an Übergewicht abgenommen, nur noch eine kleine Kugel ragte aus seinem Bauch heraus. Er trug seine rote Bischofsrobe. Ihm war erdrückend warm und der Schweiß rann ihm von der Stirn herunter und schoss ebenfalls aus seinen Achselhöhlen heraus.
Er dachte die ganze Zeit an die leidenden Aramäer. Nur durch Diplomatie würde er ihnen helfen können, wusste er. „Exzellenz, Herr Pascha, ich komme im Namen des Papstes. Wenn Ihr diese armen Christenseelen verschont, wird der Papst Euch ewig dankbar sein.“
Ali lächelte schelmisch. „Ich möchte nicht unverschämt wirken, Eminenz, aber wenn dies wirklich so wäre, warum sind dann die Franzosen nicht schon längst diesen armen Christen zu Hilfe gekommen? Sind die Franzosen nicht die rechte Hand des Papstes?“
Ambrosiani überlegte lange. Jedes Wort war zu wichtig. Dann sprach er: „Der Einfluss seiner Heiligkeit ist leider nicht mehr so groß. Es tobt ein großer Krieg in Europa und sie fürchten um ihr eigenes Land. Sie wollen erst einmal sich selbst retten.“
„Wisst Ihr, Eminenz, Ihr habt wirklich Mut, hierher zu kommen. Wäre ich ein anderer, ich hätte Euch als Geisel genommen.“
Der Italiener verneigte sich tief. Er hatte Angst.
„Sagt mir, wie kamt Ihr in Kontakt mit den Aramäern?“
Ambrosiani erzählte ihm von seiner langen Reise durch den Tur Abdin und von all dem den Armeniern zugefügten Leid. Als er dann von den Aramäern aus Badibe erzählte und wie freundlich sie ihn empfangen hätten, ließ der Pascha all die schrecklichen Ereignisse der vergangenen Wochen in seinem Kopf Revue passieren. Dann fiel ihm der von ihm bei den Massakern verschonte Aramäer ein. „Wisst, ich konnte nicht viel für die Aramäer tun. Der Befehl kommt von ganz oben. Was soll ich machen? Da, wo ich unter anderem Vorwand etwas tun konnte, machte ich meinen Einfluss geltend. Glaubt mir, ich selbst hege keinen Hass gegen dieses Volk. Ich habe einigen von ihnen das Leben gerettet. Einer von ihnen war besonders tapfer.“
Ali rief den Wächter vor seinem Zelt herbei und befahl ihm, den gefangenen Aramäer herbeizuholen. Nur wenige Augenblicke später führte der Soldat Madschid herein. Des Badebojos Hände und Füße lagen in Ketten. Tiefe Wunden und große Beulen markierten sein Gesicht. Seine Erscheinung schockierte den Geistlichen. Der Pascha entschuldigte sich für die schlechte Behandlung des Gefangenen. Er gab Anweisung, jene Peiniger von dem Aramäer zu ermahnen und niemand mehr solle ihm Leid zufügen.
„ Ihr seid in Badibe gewesen. Er kommt aus Badibe.“
Der Bischof runzelte die Stirn. Dem Pascha fiel sofort der Gemütswandel des Italieners auf. „Kennt Ihr diesen Mann?“
Ambrosiani betrachtete Madschid mitleidsvoll von Kopf bis Fuß. Madschid lag auf den Knien vor dem Ausgang des Zeltes. Sein Rücken war gekrümmt und seine Augen waren geschlossen.
Ambrosiani überlegte, ob er dem Türken die Wahrheit sagen sollte. Es war schließlich von nicht so großem Belang, dachte er. Daher sprach er: „In Badibe bin ich mehrere Wochen lang im Kloster d'Ghsale geblieben. Ich habe kaum Dorfbewohner gesehen.“
Dann plötzlich öffnete Madschid seine Augen. Er schaute zu dem Geistlichen. Der Italiener erkannte es in dem Augenwinkel seines linken Auges. Er scheute sich, den Aramäer anzugucken. „Könnt Ihr mir vielleicht sagen, wessen Sohn er ist?“
„ Das habe ich ihn noch nicht gefragt und er wird es mir sowieso nicht sagen. Er spricht nicht mit uns, was ich ihm nicht verübeln kann.“
„ Ich bin der Sohn des Isa“, sprach dann der Gefangene mit gebrochener Stimme. Die Tonlage und der Klang dokumentierten die Härte der ihm zugefügten Qualen der letzten Wochen.
Der Bischof schaute nun doch noch den Aramäer an. Ihre Blicke trafen sich. Sein Herz schlug höher. Er kannte zwar Isa nur flüchtig. Er freute sich, den Sohn eines ehrenwerten Mannes lebend zu sehen. „Isa, ja, ich kenne deinen Vater. Du hast einen kleinwüchsigen Bruder. Er ist doch dein Bruder, oder?“
Ali runzelte nun ebenfalls die Stirn.
Madschid nickte nur, schloss dann seine Augen und senkte wieder sein Haupt. Der Bischof hatte ihn unbewusst gekränkt mit
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