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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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nur ihretwegen. So war er also tatsächlich bereit gewesen, für sie zu sterben. Sie fühlte sich geschmeichelt. Wenngleich, sie konnte immer noch nicht Liebe für diesen Mann empfinden. Und Matthias? Sie wusste immer noch nicht, ob es mehr Mitleid war. Sie verstand, in welcher Lage er sich befand. Er war ein Mann wie jeder andere, doch wurde er von der Männergesellschaft nicht als solcher akzeptiert. Es regte sie auf. Sie konnte seine Gefühle nachvollziehen. Sie war eine Zigeunerin und wurde von vielen Mädchen ihres Alters und auch von Männern aufgrund ihrer Herkunft verspottet. Aber die Lage war zu kompliziert. Sie war nun einmal eine Muslimin und sie war zudem keine Aramäerin. Matthias wäre wohl nie dazu bereit gewesen, seine Herkunft, seine Familie, sein bisheriges Leben für sie zu opfern. Sie stellte sich selbst die Frage, ob sie selbst, also umgekehrt, dazu bereit wäre, dies zu tun. Und wenn sie ehrlich gewesen wäre, dann hätte sie sich selbst eingestanden, sie sei ebenfalls nicht dazu bereit. So war es also diese Selbsterkenntnis und dieses Verständnis des Anderen, welches sie dort verweilen ließ.
    Matthias seinerseits dachte über Soraja und Meridschan nach. Meridschan war nicht bei ihm geblieben. Zwar hatte sie ihm angeboten, ihn bei sich aufzunehmen und ihn zu beschützen, doch sie war nicht bei ihm geblieben und auch nicht wieder zu ihm gekommen, so wie es Soraja getan hatte, auch wenn das Zigeunermädchen einen viel kürzeren Weg zu ihm zurückzulegen hatte. War er Meridschan etwa doch nur gleichgültig gewesen? War ihre Liebe zu ihm nicht so groß? Liebte Soraja ihn von ganzem Herzen, so sie doch bereit war, ihm hier in diesem entscheidenden Moment um Leben und Tod beizustehen? Er wusste keine Antwort. Er wollte sie nicht fragen, ob sie ihn liebe. Gefühle zeige man und man spreche nicht davon, dachte er.
    Da tat sich etwas auf dem Hügel, wie er in seinem Augenwinkel sah. Die dunklen Striche bewegten sich rasch. Sie sammelten sich. Er überlegte, was geschehen sein könnte. Sie jubelten, oh ja, sie jubelten. Die Schlacht war also gewonnen. Er war sich dessen sicher. Er lächelte. Soraja konnte es in dem Augenwinkel ihres linken Auges sehen. Sie wandte sich ihm zu. Sie wartete auf eine Aussage von ihm.
    „ Wir haben gesiegt.“
    Sie schaute überrascht wieder zum Hügel. Sie wollte nun auch jubeln, aber sie wollte erst noch abwarten, ob der Sieg sicher sei.
    Sie sahen einen Mann aus dem unteren Ende des Hügels hervortreten. Er rannte über die Ebene. Es war der Muchtar. Er hielt mit seiner rechten Hand sein Gewehr hoch und sagte: „Wir haben sie zurückgeschlagen. Sie sind fort.“
     
    Sie fielen sich in die Arme. Sogar Muchtar Murad, welcher eher kein sensibler Mensch und unnahbar war, konnte sich nicht zurückhalten und umarmte Isa und Aljas. Der verletzte Aljas weinte sogar vor Freude. Auch die jungen Männer jubelten und umarmten sich gegenseitig, darunter auch Barsaumo. Die Männer, auch die Jesiden, küssten einer nach dem anderen die Oberfläche der rechten Hand des Abunas. Als Barsaumo an der Reihe war, schaute er ihn beängstigt an und wandte seinen Blick von ihm ab. Matthias' Vater war dies aufgefallen und dachte nach, was es mit der Reaktion des Priesters auf sich habe.
    „ Wir stellen drei Männer zur Wache auf. Dies müssen wir tun, für alle Fälle, falls sie wiederkommen. Wir müssen wachsam sein, Tag und Nacht! Die Wache wird alle paar Stunden abgelöst. Ich schlage vor, wir beginnen der Reihe nach“, sprach der Abuna.
    Es traten sogleich Isa, Murad und Malke vor. Der Abuna gab Isa den Vortritt. Er sollte mit seinen beiden Söhnen, Siwar und Madschid – Isa, der Älteste, besaß kein Geschick für Waffen und konnte kein Blut sehen, daher war er bei den Frauen geblieben – die erste Wache übernehmen. Danach sollten Murad und sein ältester Sohn und er selbst, der Abuna, sie ablösen. Danach würden Malke und seine Familie an der Reihe sein, danach die Familie des Antar und so weiter.
    Soro und seine Neffen verabschiedeten sich von den Aramäern. Doch der Muchtar wollte der Erste sein, welcher die gute Nachricht dem Dorf verkündete. Also rannte er los, den Hang hinab.
    Aljas verabschiedete sich ebenfalls vom Abuna, er trat ab, zusammen mit Barsaumo.
    Als nur noch die Familien von Isa und Muksi Antar anwesend waren, bat der Abuna sie, ihm zuzuhören. „Dies waren nicht die Männer des Wesirs. Das waren eindeutig Söldner der türkischen Armee. Es ist also die

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