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Liebe und Völkermord

Liebe und Völkermord

Titel: Liebe und Völkermord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Imran
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zurück auf die Matte auf dem Boden und schaute auf die Spitze des Zeltes direkt über ihm. Er seufzte.
    „Worüber denkst du nach?“
    „ Ich weiß nicht, worauf ich mich da eingelassen habe. Enver ist immer schon stur gewesen. Ich verstehe die Notwendigkeit dieses Vorhabens, als Politiker, doch nicht als Mensch.“
    Orhan nickte. Auch ihn bedrückten Zweifel und Angst, Angst vor der Ablegung der Rechenschaft für seine menschenverachtenden Taten. Doch nach außen hin ließ er sich seine innere Zerrissenheit nicht anmerken. „Uns trifft keine Schuld, Ali. Wir führen nur aus, was uns befohlen worden ist. Wir befinden uns im Krieg. Der Krieg ist immer schrecklich und die Zivilbevölkerung leidet am meisten unter ihm.“
    Ali schaute immer noch schweigend nach oben. Sein Kopf lag auf seinem rechten Arm. Er hatte die Worte seines Freundes zur Kenntnis genommen und sie beruhigten sein Gemüt.
    Orhan schlug ihm vor, einige Stunden zu schlafen, im Morgengrauen würden sie dann weiterziehen.
    Als Orhan sich entfernt hatte, dachte Ali noch einmal über dessen Worte nach. Er hatte recht, er, der Pascha, musste seine Pflicht als osmanischer Beamter und Offizier erfüllen, ganz gleich, was für ein Befehl ihm aufgetragen würde. Wie jeder andere Mensch hatte er auch ein Gewissen. Er war ein Humanist, ein Humanist, welcher nun zurückgefallen war in eine Epoche der menschlichen Barbarei. Er wollte am liebsten flüchten und zurück zu seinen Ehefrauen, in ihr Bett, mit ihnen schlafen und ihr deliziöses Essen genießen.
    Seine Augen schlossen sich. Er war zu erschöpft. Geistig und physisch. Er schlief drei Stunden lang fest. In nur drei Stunden regenerierte sich sein Körper. Als er wieder wach war, waren seine Gewissensbisse verflogen. Er war wieder aufs Neue von Tatendrang erfüllt.
    Doch draußen war es noch dunkel und es war still. Er blieb liegen.
     
    Matthias stand am südlichsten Rand des Gehweges neben der Ebene vor dem Hügel. Er sah, wie die Männer dort vor dem Wall lagen und eine Salve nach der anderen auf die Feinde abfeuerten. Er war zu ihnen gegangen, doch sie hatten ihn wieder zurückgeschickt. Er wollte ein Gewehr nehmen und mitkämpfen, obgleich sein Arm zu kurz war, um es richtig halten zu können, doch er hätte es irgendwie geschafft. Matthias' Vater war es gleichgültig, ob sein Sohn das Gewehr genommen hätte. Insgeheim wünschte er sich das sogar. In seinen Augen war nämlich sein kleinwüchsiger Sohn gleich wie jeder andere Mann auch.
    So blieb Matthias zurück und starrte gespannt auf das Geschehen oben auf dem Hügel. Innerlich betete er für den Sieg seiner Landsleute. Ungewiss war der Ausgang der Schlacht, doch er fürchtete sich nicht. Er bedauerte, nicht an den Kriegshandlungen teilnehmen zu dürfen. Er konnte kämpfen wie die anderen Männer mit den langen Armen und Beinen. Er würde sogar viel besser kämpfen als die anderen. Er würde ihnen sogar noch in strategischer Hinsicht am besten helfen können. Doch sie wollten ihn nicht dabei haben.
    So enttäuscht er auch war, er akzeptierte das schroffe Verhalten der Männer ihm gegenüber und überlegte, was er denn für Sinnvolles tun konnte. Gerade erwachte er aus seiner Starre, da stand Soraja neben ihm. Er war völlig überrascht von ihrer Anwesenheit. Er stand immer noch stramm, sein Körper gen Hügel gerichtet, sein Haupt zur rechten Seite gedreht. Soraja stand genau neben ihm, ihr Kopf traf beinahe den seinen. Sie schnaufte und einige dicke Schweißperlen rannen ihr die Wangen herunter. Ihr Haar war verstaubt, genauso wie ihre Kleidung. Sie überlegte die ganze Zeit über, was sie ihm sagen sollte, doch sie schwieg lieber. Sie schaute zum Hügel hinauf und verstand gleich sofort, was sich dort ereignete. Als sie wieder normal atmen konnte, schaute sie wie Matthias auf und beobachtete ebenfalls das Geschehen oben auf dem Hügel.
    Sie stand dort, als wäre sie seine Ehefrau. Als würde sie ihm folgen bis in den Tod. Dies beeindruckte den kleinwüchsigen Aramäer sehr. Er drehte sich noch einmal zu ihr um, sie schaute immer noch geradeaus gebannt auf den Hügel, und schaute sie mit einem freundlichen Lächeln an. Sie war Seinetwegen gekommen. Er liebte sie.
    Sie standen in dieser Position noch eine ganze Weile lang. Matthias' Rücken begann zu schmerzen. Er schmerzte immer am unteren Ende der Wirbelsäule, wenn er zu lange stand oder lange Zeit in falscher, nicht gerader Position auf dem Boden saß. Er unterdrückte die Schmerzen. Sie waren

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