Liebe und Völkermord
osmanische Regierung, die uns vernichten will. Warum auch immer. Ich fürchte, sie werden unsere kurdischen Nachbarn gegen uns aufhetzen. Wer weiß, was die Aghas gerade tun. Wir müssen wirklich sehr wachsam sein!“
„ Abuna, sie ziehen in Richtung Osten. Ich glaube nicht, dass sie von ihrem Plan ablassen werden. Sie haben etwas vor“, sprach Steifo, Sohn des Antar. Matthias tauchte auf, er wurde aber von den Männern nicht beachtet.
„ Ich glaube, sie wollten zuerst unser Dorf erobern, da es am höchsten gelegen ist und am schwersten einzunehmen ist. Von hier aus hätten sie leicht die anderen Dörfer überrennen können. Vielleicht planen sie jetzt, die weiter unten gelegenen Dörfer direkt anzugreifen“, meinte der Pfarrer.
„ Wir müssen die anderen Dörfer warnen“, sprach Danho, Sohn des Antar. Isa stimmte ihm zu. Der Pfarrer schüttelte den Kopf. „Das ist zu riskant. In einigen Dörfern leben Muslime. Ich befürchte, sie würden dann über unsere Schwestern und Brüder herfallen.“
„ Ich kann hingehen. Mich sieht keiner und ich werde sie aufklären.“
Der Abuna schaute Matthias mit einem ausdruckslosen Gesicht an. Matthias' Vater sagte, er sei damit einverstanden, seinen Sohn auf diese Mission zu schicken. Die Söhne des Antar schwiegen.
„Nein, das ist zu gefährlich! Du bleibst hier!“, entgegnete Abuna Isa dem Kleinwüchsigen. Matthias geriet beinahe in Rage. Erst hatten sie ihm verweigert, bei der Verteidigung des Dorfes mitzuwirken, nun wollten sie dasselbe wieder tun. Er bot ihnen wieder seine Hilfe an und sie lehnten sie erneut ab. War er denn wirklich kein echter Mann in ihren Augen? Er war frustriert. Was sollte er denn gegen diese mit solchen Vorurteilen behafteten Männer machen? Sein Vater ermahnte ihn, er solle den Abuna respektieren. Widerwillig schwieg Matthias.
Nuntius Ambrosiani und die Mönche des Klosters d'Ghsale tauchten auf. Sie gratulierten den Männern. Einige Söhne des Antar küssten nur die Hände der Mönche und beachteten den katholischen Bischof nicht. Wenngleich Matthias sich freute, den Bischof und Bruder Petrus zu sehen, hielt er sich zurück, da er immer noch wütend auf die Aramäer und ihre abweisende Einstellung ihm gegenüber war. Die Geistlichen lächelten ihm zu, blieben jedoch auf Abstand, sie dachten, Matthias sei wegen der Kriegshandlungen traumatisiert.
Es wurde sehr laut, da jeder Mann mit einem oder zwei anderen sprach. Nach einer Weile streckte Abuna Isa seine Arme aus und bat die Männer, nach Hause zu gehen, zu ihren Familien. Isa, Siwar und Madschid blieben zurück. Die Söhne des Antar entfernten sich gleichzeitig, nur einer blieb zurück. Jener schaute die ganze Zeit über den traurig vor sich hin starrenden Matthias an.
Nachdem die Männer nicht mehr zu hören waren, trat dieser Mann, Gaurije war sein Name, an den Kleinwüchsigen heran. Er war nur zwei Jahre älter als Matthias. Er war etwa zwei Köpfe größer als er und hatte eine breite und muskulöse Brust. Sein Hemd war unterhalb seines Kinns offen, denn er schwitzte dort zu sehr. Das ganze Dorf kannte sehr gut Matthias' Geschichte, so auch dieser junge Mann. Schon immer wollte er mit dem kleinen Mann reden, doch es hatte sich noch nie die Gelegenheit dazu geboten. Und zudem, er wollte ihn nicht kränken mit seinen neugierigen Fragen, wie zum Beispiel, wie es so als kleiner Mann sei. Er war gottesfürchtig, wenngleich er sich sehr für die weltlichen Dinge interessierte. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, ins Kloster zu gehen, doch vor fünf Jahren sagte er dieses Vorhaben ab. Seine Familie verstand seinen plötzlichen Sinneswandel nicht. Für seine Brüder war er ein Eigenbrötler und nicht durchschaubar. Deswegen sprachen sie nicht oft mit
ihm, nur wenn ihre Mutter es ausdrücklich von ihnen verlangte. „Ich begleite dich nach Hause. Komm, lass uns gehen.“
Matthias schaute verwundert zu ihm auf. Er wusste, wer dieser Mann war, doch hatte er noch nie ein Wort mit ihm gewechselt. Ihm kam dieses Angebot merkwürdig vor. Doch freute er sich, er war anscheinend doch nicht jedem Aramäer gleichgültig gewesen.
Sie schlenderten schweigend Seite an Seite den Hang hinab. In der Mitte des Hanges blieb Gaurije stehen. Matthias schritt weiter, sah aber sogleich in dem Augenwinkel seines linken Auges nicht mehr seinen neuen Freund. Er blieb stehen und drehte sich um.
„ Du hast recht, wir müssen die anderen Dörfer warnen. Ich werde dich begleiten. Lass uns gleich sofort
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