Liebe und Völkermord
dieser Tage hätte der Jüsbaschi mit seinem Gefolge vor seiner Haustür stehen können. Und wer wusste schon, was ihn auf dem Feldzug widerfahren würde, vielleicht würde ihm etwas zustoßen.
Also wollte er seine noch verbliebene Zeit genießen und jene Knospe von Frau pflücken, welche er schon so lange begehrte. Aische hatte er seltsamerweise schon vergessen. Oder war der Grund hierfür etwa, weil Fatima ihn so stark an sie erinnerte? Ja, das war wohl der Grund, war er sich sicher. Sie sollte seine zweite Aische sein.
Er saß im Schneidersitz auf der linken Seite seines Wohnzimmers und wartete. Seinen Blick richtete er immer wieder auf die Haustür. Er hatte die Wohnzimmertür offengelassen. Die Haustür war hinter dem Korridor parallel zur Wohnzimmertür angelegt worden. Eine, zwei und dann drei Stunden vergingen. Womöglich war Karim und seinen Freunden die Entführung der hübschen Fatima nicht gelungen, dachte er. Oder sie war bereits geflohen.
Doch dann endlich klopfte jemand an die Tür. So voller Vorfreude war er nur selten in seinem Leben gewesen. Er stand rasch auf und lief zur Tür und öffnete sie, ohne zu fragen, wer da sei.
Es war bereits stockdunkel, doch Dank des Kerzenlichts, welches in der Mitte des Korridors seines Hauses hing und den Raum erstrahlte und sogar den Vorraum vor der Haustür, konnte der Agha Fatima gut erkennen. Sie trug einen Schleier um ihre Haare, doch ihr Gesicht war frei. Muhammad lächelte sie an. Er bedankte sich mehrmals bei Karim, Raschid und Abdul. Abdul und Raschid verabschiedeten sich sogleich, sie hatten ihren Auftrag erfüllt und wollten nun endlich zurück zu ihren Familien. Karim blieb noch neben Fatima stehen.
Muhammad führte die junge Frau herein. Er bat seinen Freund, Wasser und Brot aus der Küche zu holen. Als er aus der Küche zurückkam und Muhammad Fatima das Brot reichte, rührte sie sich nicht. Er betrachtete sie von oben bis unten. Eine Frau in solch einem gesundheitlich angeschlagenen Zustand hatte er noch nie gesehen. Sie sah aus wie jene Partisanen von Arabern und Kurden, welche gegen die osmanische Tyrannei kämpften, sich Tage lang in den Wäldern versteckten und beinahe verhungerten. Er wusste, sie würde in den nächsten Tagen sterben, wenn sie nichts trinken und nichts essen würde.
Er nahm die andere Matte von der anderen Seite und legte sie auf die Matte, auf der sie saß. Er bat sie, sich hinzulegen. Sie tat es. Wenn es ihr auch in der Gegenwart dieser Männer und in diesem fremden Haus unbehaglich wurde, nutzte sie die Gelegenheit, sich endlich ausruhen zu können. Sie legte sich zur rechten Seite hin und zog ihre Beine halb an, ihr Gesicht zur Wand gerichtet. Muhammad holte aus seinem Schlafgemach eine Decke und deckte sie zu. Karim stand die ganze Zeit über in der hinteren Ecke des Raumes, vorne links von Fatima aus gesehen.
Muhammad blieb vor ihr stehen, er schaute sie die ganze Zeit über an. Karim beobachtete seinen Freund und hatte Mitleid mit ihm. Er wünschte sich, sie würde einen guten Ersatz für seinen Verlust sein.
Er trottete einige Schritte nach vorne und sprach leise. „Sie hatte Angst vor uns. Das ist selbstverständlich, nach allem, was sie gesehen hat.“
Muhammad runzelte die Stirn, ihm war ein Gedanke gekommen. „Bilad war ein schlechter Mann. Er wollte mich töten lassen. Er hat meine Frau getötet. Er war ein schlechter Mensch. Ich musste ihn töten. Ich bitte dich, du musst das verstehen.“
Der Krüppel schaute verwundert angesichts der Wortwahl seines alten Kumpanen. Aber es war ja nicht sein Problem, er wollte sich nicht in diese Angelegenheit einmischen. Er wollte Muhammad weiterhin die Treue halten, doch diese junge Frau wirkte durch ihre besondere Schönheit und ihrem durch die tragischen Ereignisse verursachten seltsamen Verhalten faszinierend auf ihn. Er erinnerte sich an den Moment, als sie seine Hand nahm. Er spürte, wie sie ihn um Hilfe bat und seine Nähe suchte. Solch ein emotionales zwischenmenschliches Ereignis hatte er noch nie erlebt. Jedoch war sie die Frau von Muhammad. Dies machte ihn schon depressiv. Er verabschiedete sich von seinem Agha und ging zur Tür hinaus.
Muhammad stand immer noch dort und starrte auf den Rücken der hübschen Fatima. Ihre Augen waren geschlossen, doch horchte sie genau jedem einzelnen Wort des Aghas. Sie fürchtete sich, aber sie schöpfte neue Hoffnung, Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
„Ich habe meine Frau, meine Königin verloren. Du sollst meine
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