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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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die ganze Zeit wie gebannt auf die unendlich faszinierendere Konversation jener Veronica gelauscht haben. Nun gut, ich bin also wieder unsichtbar, und das ist mir ohnehin lieber, denn so kann ich mich in Ruhe dem Essen widmen. Aber nein, keineswegs, denn unerklärlicherweise werde ich mit einem Schlag wieder sichtbar.
    »Lord Alconleigh ist also Ihr Onkel? Ist das nicht ein ziemlich verrückter Kerl? Geht der nicht bei Vollmond mit Bluthunden auf Menschenjagd?«
    Ich war noch Kinds genug, die Erwachsenen meiner eigenen Familie fraglos zu akzeptieren, und lebte in dem Glauben, jeder von ihnen sei auf seine Weise mehr oder minder vollkommen. Deshalb schockierte es mich, als dieser Fremde meinen Onkel als einen ziemlich verrückten Kerl bezeichnete.
    »Oh, aber es macht uns Spaß«, begann ich, »Sie können sich nicht vorstellen, wie lustig …« Vergebens. Selbst während ich sprach, konnte es geschehen, dass ich unsichtbar wurde.
    »Nein, nein, Veronica, die Sache war die, er brachte das Mikroskop mit, um darunter seine eigenen …«
    »Du getraust dich nicht, das Wort beim Dinner in den Mund zu nehmen, das ist es«, sagte Veronica, »selbst wenn du wüsstest, wie man es ausspricht, was ich bezweifle, es ist zu unfein, so etwas sagt man nicht bei Tisch …« In dieser Weise ging es zwischen ihnen hin und her.
    »So ausgelassen habe ich Veronica noch nie erlebt, du vielleicht?«
    An den Enden des Tisches ging es gesetzter zu. Am einen redete Lady Montdore auf den Duc de Sauveterre ein, der auch höflich zuhörte, seine kleinen schwarz glänzenden, munter dreinblickenden Augen aber dennoch herumwandern ließ, und am anderen machten sich Lord Montdore und der Lektor einen Spaß daraus, ihr fehlerloses Französisch vorzuführen, indem sie sich über die alte Duchesse de Sauveterre hinweg in dieser Sprache unterhielten. Ich saß nah genug, um zu verstehen, was sie sagten, und hörte ihnen während der Phasen meiner Unsichtbarkeit aufmerksam zu, und obwohl ihre Unterhaltung vielleicht nicht so geistreich war wie die Konversation in Veronicas Umgebung, hatte sie für mich den Vorzug der Begreiflichkeit. Sie verlief nach folgendem Muster:
    Montdore: »Alors le Duc de Maine était le fils de qui?«
    Boy: »Mais, dites donc mon vieux, de Louis XIV.«
    Montdore: »Bien entendu, mais sa mere?«
    Boy: »La Montespan.«
    In diesem Augenblick sagte die Herzogin, die die ganze Zeit über schweigend vor sich hin gekaut und anscheinend überhaupt nicht zugehört hatte, sehr laut und mißbilligend: » Madame de Montespan.«
    Boy: »Oui – oui – oui, parfaitement, Madame la Duchesse.« (In einer geflüsterten Seitenbemerkung auf Englisch zu seinem Schwager: »Die Marquise de Montespan war eine Aristokratin, weißt du, sie vergessen das nie.«)
    »Elle avait deux fils d’ailleurs, le Duc de Maine et le Comte de Toulouse et Louis XIV les avait tous deux légitimés. Et sa fille a épousé le Régent. Tout cela est exacte, n’est-ce pas, Madame la Duchesse?«
    Aber die alte Dame, deretwegen diese linguistische Leistungsschau offenbar veranstaltet wurde, blieb völlig uninteressiert. Sie aß, so schnell sie konnte, und hielt nur inne, um sich von dem Lakaien mehr Brot zu erbitten. Erst als sie noch einmal direkt angesprochen wurde, sagte sie: »Ich denke, ja.«
    »Es steht alles bei Saint-Simon«, sagte Boy. »Ich habe neulich mal wieder darin gelesen, solltest du auch tun, Montdore, einfach hinreißend.« Boy war in der höfischen Memoirenliteratur außerordentlich bewandert und hatte sich damit den Ruf erworben, ein großer Kenner der Geschichte zu sein.
    »Auch wenn man ihn nicht mag – über Geschichte weiß Boy eine ganze Menge, man kann ihn alles fragen.« Es kam allerdings darauf an, was man wissen wollte. Wenn es um die Flucht der Kaiserin Eugénie aus den Tuilerien ging – alles. Wenn es um das Martyrium der Märtyrer von Tolpuddle ging, jener sechs unrechtmäßig zu sieben Jahren Australien verurteilten Landarbeiter – nichts. Das historische Wissen des Lektors war geistig veredelter Snobismus.
    Nun wandte sich Lady Montdore ihrem Nachbarn auf der anderen Seite zu, und alle folgten ihrem Beispiel. Infolgedessen hatte ich es jetzt mit Rory statt mit Roly zu tun, aber viel Abwechslung brachte das nicht, denn inzwischen waren beide völlig von dem gefangengenommen, was auf der anderen Seite des Tisches vor sich ging. Und der Lektor musste den Kampf mit der Herzogin nun allein bestehen.
    Ich hörte ihn sagen: »Dans le temps
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