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Liebe unter kaltem Himmel

Liebe unter kaltem Himmel

Titel: Liebe unter kaltem Himmel
Autoren: Nancy Mitford
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Butler hatte mein Kopfschütteln nicht beachtet); es lag am Essen, ich war betrunken vom Essen. Ich verstand jetzt, was Davey mit der Kobra gemeint hatte, alles an mir war bis zum Äußersten angespannt, und mir war, als hätte ich wirklich eine Ziege verschlungen. Ich spürte, dass mein Gesicht gerötet war, und als ich mich umsah, stellte ich fest, dass alle anderen Gesichter die gleiche Farbe angenommen hatten, nur das von Polly nicht.
    Polly, die zwischen zwei Männern von gleichem Kaliber wie Rory und Roly saß, hatte sich nicht die geringste Mühe gegeben, ihnen gegenüber nett zu sein, obwohl sich ihre Tischnachbarn um sie sehr viel mehr bemüht hatten als die meinen um mich. Auch das Essen schmeckte ihr nicht. Sie stocherte mit einer Gabel darin herum, rührte das meiste nicht an und schien völlig in Gedanken versunken, während ihr stumpfer Blick wie der Strahl einer blauen Lampe in Boys Richtung wies, aber nicht so, als würde sie ihn wirklich sehen oder seinem schauderhaft korrekten Französisch lauschen. Lady Montdore warf ihr von Zeit zu Zeit einen unwilligen Blick zu, aber Polly bemerkte es gar nicht. Ihre Gedanken schweiften anscheinend in weiter Entfernung von der Dinnertafel ihrer Mutter umher, und nach einiger Zeit gaben es ihre Tischnachbarn auf, Polly ein Ja oder Nein abzuringen, und mischten sich stattdessen im Verein mit den meinen in das kesse Wortgeplänkel um die Dame namens Veronica.
    Diese Veronica war klein, schlank und glitzernd. Ihr gelbblondes Haar lag wie eine Kappe vollkommen glatt auf ihrem Kopf, mit ein paar flach geschwungenen Locken über der Stirn. Sie hatte eine gebogene Nase, ziemlich stark hervortretende blassblaue Augen und wenig Kinn. Ich fand sie »dekadent«, aber dieses neunmalkluge Erwachsenenwort hatte mir ohne Zweifel meine Trunkenheit eingegeben, denn es ließ sich trotz allem nicht bestreiten, dass Veronica sehr schön war und dass ihre Kleider, ihr Schmuck, ihr Make-up und ihre ganze Erscheinung den Inbegriff höchster Eleganz darstellten. Sie galt offenbar als witziger Kopf, und sobald die Party nach frostigem Beginn ein wenig in Gang gekommen war, drehte sich alles nur noch um sie. Zwischen ihr und den verschiedenen Rorys und Rolys flogen die schlagfertigen Redensarten nur so hin und her, während die übrigen Frauen ihres Alters über die Witze bloß kicherten, ohne sich aktiv zu beteiligen, so als wüssten sie, dass es aussichtslos gewesen wäre, sich neben sie ins Rampenlicht drängeln zu wollen. Die älteren Leute in der Umgebung der Montdores an den beiden Enden des Tisches hingegen waren in ernsthafte Gespräche vertieft und warfen nur hin und wieder einen nachsichtigen Blick auf »Veronica«.
    Jetzt, da ich etwas Mut gefasst hatte, fragte ich einen meiner Nachbarn nach ihrem Namen, aber meine Ahnungslosigkeit überraschte ihn so sehr, dass er vergaß, die Frage, die ich ihm gestellt hatte, zu beantworten.
    »Veronica?«, fragte er verblüfft. »Aber Sie kennen doch Veronica.«
    Es war, als hätte ich noch nie vom Vesuv gehört. Später erfuhr ich, daß sie Mrs Chaddesley Corbett hieß, und es schien mir merkwürdig, dass Lady Montdore, von deren Snobismus ich schon so viel gehört hatte, eine bloße Mrs., also nicht mal eine Hon. Mrs., überhaupt einlud und sogar mit einer gewissen Ehrerbietung behandelte. Man sieht daran, wie ahnungslos ich in gesellschaftlichen Dingen damals gewesen sein muss, denn jeder Schuljunge (zumindest jeder »Etonian«) wusste über Mrs Chaddesley Corbett alles. Sie war für die anderen Frauen der eleganten Welt das, was der Star in einer Revue für die Chorus-Girls ist. Sie hatte ein bestimmtes Erscheinungsbild, eine bestimmte Art, zu reden, zu gehen und sich zu geben, entwickelt, die von der englischen Schickeria seit mindestens zehn Jahren sklavisch nachgeahmt wurden. Dass ich ihren Namen noch nie gehört hatte, lag einfach daran, dass sie mit ihrer Eleganz meilenweit über den unerfahrenen jungen Leuten stand, mit denen ich gewöhnlich verkehrte.
    Es war sehr spät, als Lady Montdore endlich die Tafel aufhob. Meine Tanten ließen langes Sitzen im Esszimmer nie zu – sie dachten an den Abwasch und daran, dass das Personal womöglich zu spät ins Bett käme, aber solche Erwägungen stellte in Hampton niemand an. Auch wandte sich Lady Montdore nicht, wie es Tante Sadie immer tat, mit flehendem Blick und einem »Nicht so lange, Liebling, ja?« an ihren Gatten, als sie nun hinausging und die Männer dem Portwein, dem Brandy, den
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