Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
Vom Netzwerk:
Sauerland aus seiner Fromm-Lektüre gezogen hat. Hat der Stadtdirektor sich von der kapitalistischen Warenwelt befreit? Hat er ein begierdeloses Lieben erlernt? Und ist er seines Voyeurismus Herr geworden? Oder hat er gelernt, dass die Erwartung an den Liebenden, seine Erwartungen nur an sich und nicht an den anderen zu richten, eine Überforderung sein muss? Vielleicht hat er ja auch gemerkt, dass jedes Buch über die Liebe stets eine Reaktion auf die Erwartungen der Zeit ist, in der es geschrieben wird? Dass »die Liebe« und die Rezepte zu ihrem Gewinn und Erhalt eine recht flüchtige Sache sind und keine zeitlose? Und dass der Liebende nicht in einer Sphäre jenseits der Gesellschaft lebt, wo irgendwo hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen ein »wahres Ich« lockt? Sondern dass sein persönlicher Beziehungscode auch und immer von der Gesellschaft geprägt wird, in der er lebt...?

10. KAPITEL
    Eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit
    Was Liebe mit Erwartungen zu tun hat
     
     
     
    Wenige Leute würden sich verlieben, wenn sie nicht davon gehört hätten.
    La Rochefoucauld

Liebe als Erfindung
    Er war Philosoph, Medizinhistoriker und Soziologe. Und er war ein großer Liebender. Sein Leben war leidenschaftlich, wild und tragisch. Michel Foucault wurde 1926 im französischen Poitiers geboren, als zweites Kind eines Anatomieprofessors und Chirurgen. Er ist ein exzellenter Schüler, aber seine Klassenkameraden meiden ihn. Auf der strengen Jesuitenschule ist er ein Außenseiter, ein Kind, das sich fast ausschließlich für Bücher interessiert. Und seinen seltsamen Humor teilt er nur mit sich selbst. Foucault ist anders als die anderen, sehr anders. Sein Vater möchte, dass er Arzt wird, aber der Sohn ist fest entschlossen, diese Erwartung zu enttäuschen. Statt Medizin studiert er Philosophie und Psychologie in Paris. Nach seinem Abschluss im Jahr 1951 geht er nach Schweden, nach Polen und Deutschland. Mit 28 Jahren veröffentlicht er sein erstes Buch über Psychologie und Geisteskrankheit. Foucault interessiert sich für das Ausgefallene, das Extreme und das Pathologische – für Menschen, die aus der
Norm gefallen sind wie er selbst, und für Zustände, mit denen die bürgerliche Gesellschaft große Schwierigkeiten hatte und hat. Als Dozent für Psychologie an der Universität Clermont-Ferrand schreibt er 1961 eine monumentale Doktorarbeit von fast tausend Seiten. Das Thema: Wahnsinn und Gesellschaft.
    Belegt durch ungezählte Quellen und Texte beschäftigt sich Foucault mit der Geschichte des Wahnsinns und seinen unterschiedlichen Beurteilungen. Zeitgleich zu Stanley Schachter, der in Chicago seine psychologische Zwei-Komponenten-Theorie der Gefühle aufstellt, formuliert der junge Franzose in Clermont-Ferrand eine Art Zwei-Komponenten-Theorie für die Soziologie. Eine psychische Krankheit ist demnach nicht etwas, das da ist, sondern etwas, das von der Gesellschaft als eine psychische Krankheit beurteilt wird. Das Phänomen und seine Bewertung sind also zwei verschiedene Dinge. Psychische Krankheiten, mithin der »Wahnsinn«, werden einem verhaltensauffälligen Menschen nach den Sitten und dem Wissen der Zeit zugeschrieben. Sie sind keine Tatsachen, sondern Attributionen.
    Die universitäre Welt in Frankreich quittiert das Buch mit Schweigen. Doch Foucaults Ehrgeiz ist beharrlich. In seinem nächsten Werk geht er noch einen Schritt weiter. Diesmal gibt es kein Sachthema, sondern Foucault untersucht die Muster, nach denen die Welt seit der Zeit der Aufklärung klassifiziert wurde und wird. Gerade einmal 30 Studenten in Clermont-Ferrand lauschen seiner Vorlesung; die meisten deshalb, weil sie als angehende Krankenpfleger und Krankenschwestern einen Teilnahmeschein brauchen. Doch als das Buch 1966 erscheint, wird es zur Sensation. Les mots et les choses (»Die Ordnung der Dinge«) erregt Aufsehen. Noch nie zuvor hatte jemand einen solchen Blick auf das Wissen und die Wissenschaften geworfen.
    Foucaults unorthodoxe Sicht auf die »Konstruktion« von Wissen und Wahrheit machen ihn zum Star am Firmament der französischen Philosophie. Die Universität von Clermont-Ferrand allerdings schickt ihn in die Wüste, genauer: nach Tunesien.
Während in Paris die Studentenrevolte die Ordnung der Dinge erschüttert, lebt er auf einem Hügel am Meer, in einem kleinen Hotel mit weißen Mauern und blauen Fensterläden und schreibt eine Abhandlung über seine wissenschaftliche Methode. Erst Ende 1968 ist Foucault zurück

Weitere Kostenlose Bücher