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Liebe

Titel: Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Precht
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in ihrer neuesten und populärsten Spielart nicht ins Paradies, sondern in die Tyrannei.

Selbstliebe als Patentrezept
    Die Paartherapie ist eine Boomdisziplin. »Jede Ehe verdient gerettet zu werden«, droht es unheilvoll aus Anzeigen und Broschüren. Mehr und mehr Paare zieht es in die Eheberatung. Und weil deren Erfolg zumeist überschaubar ist, hat sie sich heute verändert. Noch vor wenigen Jahren bestand das Ziel einer Paartherapie in einer gelingenden Partnerschaft. Die Absicht des Therapeuten lag daran, die »Bindung« des Paares zu stabilisieren. Wenn dies gelang, war das Soll erfüllt. Die Partner wurden
netter zueinander und verstanden sich besser; eine Weile später ließen sie sich in aller Freundlichkeit und tiefem Einverständnis scheiden.
    Das Problem der Paartherapie alter Schule war, dass Partnerschaft nicht das Ziel einer Liebesbeziehung ist; jedenfalls nicht heute und schon gar nicht bei jüngeren Menschen. Die Paartherapie neuer Schule hat dies verstanden. Andere Zeiten, andere Erwartungen an eine Therapie. Wer früher Ehen retten wollte, will heute viel mehr: Er will »die Liebe« retten. Konflikte zu vermeiden reicht da nicht aus.
    Der Begründer dieser neuen Schule ist David Schnarch. Als Direktor des Marriage & Family Health Center in Evergreen, Colorado, ist er der gegenwärtig wohl erfolgreichste Modepsychologe der Therapeutenzunft. Passionate Marriage (»Die Psychologie sexueller Leidenschaft«) lautet der Titel seines 1997 veröffentlichten internationalen Erfolgsbuches. Das Ziel ist ehrgeizig. Als Paartherapeut möchte Schnarch nicht mehr Störungen beheben, sondern die Liebe bewahren. Er sucht Regeln zur Aufrechterhaltung dieses zumeist leicht vergänglichen Zustands. Und er hat eine Patentlösung: »Liebe dich selbst, ruhe in dir selbst, und erwarte dein Glück nicht von anderen.«
    Mit dieser Forderung trifft er ohne Zweifel den Zeitgeist in den hoch individualisierten Gesellschaften des Westens. Vier Regeln sollen dem Liebenden dabei helfen, ein nahezu absolutes Maß an Autonomie in der Liebe zu gewinnen, um diese dadurch zu retten. Schnarch ist der Urheber jener Idee, die, ausgedrückt mit dem Titel eines aktuellen deutschen Buches, lautet: »Liebe dich selbst, und es ist egal, wen du heiratest!«
    Als moderner Psychologe und Therapeut findet Schnarch sein Fundament in der Hirnforschung. Sein Ausgangspunkt sind die drei ominösen »Schaltkreise im Gehirn« von Helen Fisher, von denen bereits ausführlich die Rede war: Lust, Verliebtheit und Bindung. Schnarchs besondere Leistung besteht darin, diese drei Zustände zu erweitern, nämlich um »einen vierten Grundtrieb
des menschlichen Verlangens nach Sexualität: den menschlichen Trieb, sich zu entwickeln und ein >Selbst< zu bewahren. Dieser Trieb übt oftmals eine stärkere Kontrolle über das sexuelle Verlangen aus als die Begierde, Sichverlieben und die Bindung. Er ist der Leim, der Beziehungen langfristig auch dann zusammenhält, wenn der Zyklus aus Begierde, romantischer Liebesbeziehung und Bindung vorbei ist.« 79
    Schnarchs Vorstellung ist amüsant. Denn hier purzelt nun alles durcheinander, was Philosophen, Psychologen und Biologen aus gutem Grund so sorgfältig getrennt hatten. Aber die Geschichte des Erkenntnisfortschritts ist eben keine ansteigende Linie, und sie wird immer wieder verbeult. Dass Sexualität ein Trieb ist, ist unbestritten. Dass Verlieben ein Trieb sein soll, ist eher fragwürdig. Dass der Drang, ein »Selbst« auszubilden, ein Trieb ist, ist eine fahrlässige Behauptung. Denn eine so hoch komplexe Angelegenheit wie der Prozess der Individualisierung ist in keinem Fall eine triebgesteuerte – gleichsam animalische – Angelegenheit. Aber Schnarch findet die Idee offensichtlich gut, die Ausbildung unseres »Selbst« einen »Trieb« zu nennen. Es klingt wie ein biologisches Fundament der nun folgenden psychologischen Einsichten. Auch wenn wir wohl niemals jenen »Schaltkreis« im Gehirn finden werden, den es dazu drängen soll, ein »Selbst« zu erzeugen.
    Um seinen Selbst-Trieb zu untermauern, begibt sich Schnarch auf eine abenteuerliche Spurensuche in die paläolithische Savanne und datiert die Geburt des Triebes ziemlich exakt auf das Jahr 1600000 v.Chr. Zu dieser Zeit prägte sich in unserem Gehirn der Drang nach einem Selbst aus, denn zuvor waren wir offensichtlich noch Nicht-Selbste. Und da Helen Fisher ihre drei Schaltkreise eigentümlicherweise alle in der Sexualität verankert sieht, verankert

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