Liebe
Mensch tut das, und unterscheidend ist nicht die Tatsache, dass wir kopieren, sondern nur, was. In einer Gesellschaft, die unausgesetzt unser Begehren stimuliert, kopieren wir nicht nur Rollen und Weltanschauungen, sondern jede winzige Stilfrage wird durch Abgucken und Nachahmen entschieden. Wir sind umzingelt von Angeboten, Bildern, All-inclusive- oder -exclusive-Sets, von Lebensdrehbüchern und vorformulierten Stimmungen. Selbst unsere Verweigerungshaltung gerät dabei noch zum Produkt. Auch Punks können ihre Mode kaufen. Und der zivilisations- und konsumflüchtige Selbsterfahrungsmensch deckt sich dafür in teuren Outdoor-Läden ein. Zwischen der Individualreise nach Tibet und dem
Massenstrand in der DomRep gibt es keinen prinzipiellen Unterschied.
Die Liebe macht von all dem keine Ausnahme. Im Gegenteil ist sie das beliebteste aller Warenmetiers. Und der Konsum der Romantik schafft Millionen Arbeitsplätze und Milliarden mehr oder weniger glückliche Käufer in nahezu aller Welt. Kaum eine Pralinenschachtel wandert ohne Herzchen über die Ladentheke. Kein Parfüm wirbt mit dem garstig-eckzahnigen Moschus-Tier, nach dem man duften wird, sondern mit Verführung. Und der Duft, der Frauen provoziert, kommt nicht vom Mann, sondern aus der Dose. Was denkt sich unser Steinzeitgehirn bloß dabei? Kein Zweifel, dass, wie die israelische Soziologin Eva Illouz schreibt, »die auf quälende Weise fortwährend bestehenden Widersprüche der Liebesempfindung die kulturellen Formen und Sprachen des Marktes angenommen haben«. 111
Romantik für Millionen
Wie sieht sie aus, diese kulturelle Form und Sprache des Liebesmarktes? Geht es nach dem bedeutenden US-amerikanischen Psychologen Robert J. Sternberg von der Tufts University in Boston, dann ist diese Sprache filmisch. Gleich mehrere Werke hat der ehemalige Präsident der US-amerikanischen Psychologenvereinigung über die Liebe geschrieben. In seinem Buch Love is a Story (1998) analysiert er scharfsichtig, wie genau das Verhalten von Liebenden und Ehepartnern einem selbst ausgewählten Drehbuch folgt. Wer sich darüber wundert, dass Paare, die sich wie die Kesselflicker streiten, trotzdem nicht voneinander lassen können und bis an ihr Lebensende zusammenbleiben, oder dass nahezu perfekte Paare wegen einer augenscheinlichen Kleinigkeit auseinandergehen, der bekommt bei Sternberg die Antwort: weil es für Beziehungen unterschiedliche Drehbücher
gibt. Und was gefährlich ist für das Paar und sein Zusammenbleiben, das bestimmt kein anderer Maßstab als der Film und die Rolle. Wer Harmonie über alles setzt, der scheitert, wenn gegen die Geschichte vom harmonischen Paar verstoßen wird. Und wer möglichst abenteuerlich leben will, der verträgt keine Routine. Sanfte Romanze oder Piratenliebe sind die selbst gewählten Filme, deren Drehbuch bei Strafe einer Trennung befolgt werden muss.
Sechsundzwanzig verschiedene Liebesfilm-Muster hat Sternberg unterschieden. In der Geschichte der Liebespsychologie ist diese Idee ein konsequentes Fortschreiben der »Liebeskarten« von John Money. Bestimmt die kindlich bekritzelte Liebeskarte, auf wen oder was ich stehe, so setzt der Liebesfilm diese Vorgaben in eine Geschichte um: eine Geschichte mit festen Rollen und ebenso festgelegten Erwartungen und Erwartungserwartungen.
Wie Money, so nimmt auch Sternberg an, dass diese Wahl ziemlich früh erfolgt. Welches Genre uns liegt, ein Kuschelfilm oder ein Melodram, entscheidet sich spätestens in der Pubertät. Nicht nur Märchen, Bürofilme und Familienkomödien zählt Sternberg zu den denkbaren Drehbüchern. Selbst Kriegsfilme und Science-Fiction-Streifen sind möglich. Und je ähnlicher der Filmgeschmack für unser Leben, umso besser passen wir zusammen. Egal welche Rolle wir in unserem gemeinsamen Film einnehmen – Hauptsache, das Genre ist dasselbe. Und je genauer wir wissen, in welchem Streifen wir eigentlich mitspielen, umso klarer verstehen wir unsere Rolle und unsere Beziehung.
Die Frage, woher wir die Vorlagen unserer Filme kennen, steht bei Sternberg nur am Rande. Doch ohne Zweifel bedarf es des Konsums bestimmter Genres, um diese übernehmen und erwartbar bedienen zu können. Wer keine Märchen kennt, ist ein schlechter Märchenprinz!
Der genaue Zusammenhang zwischen unseren persönlichen Drehbüchern auf der Grundlage kindlicher Erfahrungen und
dem Abgucken von Mustern aus Drehbüchern des Kinos oder Fernsehens ist nach wie vor nicht ganz klar. Die Frage ist auch, ob es
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